Lukas und die gestohlene Weihnacht
Er stand einfach nur da.
„Was jetzt?“, flüsterte Marek, dessen Kopf an Lukas vorbei äugte. Lukas erschrak wieder und gab Marek mit der flachen Hand einen Klaps auf dessen Stirn.
„Idiot, hör auf mich zu erschrecken!“ schimpfte Lukas leise. Marek gab Lukas seinerseits einen Klaps gegen die Stirn: „Und du erschrick nicht immer so!“
Beide blickten zum dunklen Mann, der noch immer bewegungslos vor dem Altar im vorderen Bereich der Kapelle stand, ohne Lukas und Marek zu bemerken. Lukas zog seinen Kopf zurück und setzte sich hin. Mit dem Rücken zur Wand gelehnt blies er seine Backen auf und sagte dann:
„Jetzt oder nie!“
„Jetzt oder nie?“, sagte Marek mit aufgerissenen Augen. „Das hört sich irgendwie nicht gut an, wenn du das sagst, Lukas. Das klingt irgendwie nach Ärger.“
Doch Lukas antwortete nicht. Stattdessen zog er seine Jacke aus. Er entleerte die Taschen: Die Schneekugel, das Schweizer Taschenmesser, das Feuerzeug, die Taschenlampe – den Lipgloss von Rebekka! Bei dessen Anblick zog sich Lukas’ Magen auf Kirschkerngröße zusammen. Zumindest fühlte es sich so an.
„Rebekka, das ist für dich!“, presste Lukas hervor, stand auf, schmiss die Türe der Kapelle mit voller Wucht zu. Sie flog ins Schloss. Lukas hielt seine Jacke in der linken Hand und zündete das Feuerzeug in der rechten an. Die Jacke fing in Sekundenschnelle Feuer.
„Wollen doch mal sehen, ob ihm Feuer selbst auch so viel Spaß bereitet! Hier nimm das, du Mistkerl!“, sagte Lukas.
Er legte die brennende Jacke an die hölzerne Tür. Erst schien sich gar nichts zu tun.
„Na los, brenn doch, du blödes Feuer!“, rief Marek.
„Wenn die Tür aufgeht“, sagte Lukas, „rennst du, was das Zeug hält, klar?“
„Das musst du mir nicht erst sagen, Lukas!“
Endlich fing die Türe Feuer. Der dunkle Mann musste doch längst auf die zugeschlagene Tür reagieren!? Doch sie blieb verschlossen. Jetzt brannte sie schon bis zum Türgriff. Und von nun an immer schnelle r.
„Lukas, ist dir schon aufgefallen, dass das meiste an dieser Kapelle aus Stein ist? Stein brennt nicht!“
„Das macht nichts “, sagte Lukas, „Die Steinquader werden alle von Holzbalken zusammen gehalten. Und die Holzbänke drinnen brennen auch wie Zunder.“
Die Tür stand schließlich in hellen Flammen und kurz darauf schlugen sie auch aus dem Dach der Kapelle. Lukas und Marek gingen unwillkürlich einige Schritte rückwärts – es wurde immer heißer. Dann krachte es im Innern. Sie hörten, wie brennende Balken zu Boden fielen. Das Holz knarrte und ächzte im Feuer. Sie gingen noch weiter weg vom Gebäude, die Hitze war kaum zu ertragen.
„Meinst du, es war eine gute Idee, eine Kapelle anzuzünden, Lukas? Das ist ein Haus Gottes!“
„Wenn der dunkle Mann dadurch beseitigt werden kann, ist es mir echt ziemlich egal, wessen Haus das ist, Marek!“
„Ich mein ja nur.“
„Ja, schon gut. Aber es war die einzige Chance. Hoffen wir, dass er da nicht mehr herauskommt.“
Dann krachte es fürchterlich und die Kapelle fiel in einer riesigen Funken sprühenden Explosion in sich zusammen.
„Das war’s dann wohl. Das kann selbst der dunkle Mann nicht überlebt haben.“
„Wir haben es geschafft, Lukas. Oder besser gesagt: Du hast es geschafft!“
Sie warteten noch einige Minuten. Die Aschewolke hatte sich gelegt. Vor ihnen lag ein Trümmerhaufen aus Steinen, glühenden oder schon verkohlten Balken, was einmal eine Kapelle war.
„Komm, Marek. Wir gehen in die Stadt zurück. Jetzt ist es Zeit, den ersten Weihnachtsbaum der Welt in Ruhe anzuschauen. Diesmal stört der böse Mann uns nicht mehr. Und wenigstens ist dieser Brauch gerettet. Endlich ist das Glück mal auf meiner Seite.“
„So lass uns gehen, Lukas! Ich habe einen Bärenhunger!“
Zusammen gingen sie den Weg zurück zur Stadt.
„Dem hast du’s echt gezeigt, Lukas. Der richtet kein Unheil mehr an. Mann, bin ich froh! Du siehst nicht ganz so glücklich aus, was ist denn? Freust du dich denn nicht, dass der dunkle Mann besiegt ist?“
„Doch, schon. Ich muss nur an meine Schwester denken. Wäre ich nicht erst dem dunklen Mann hinterher gerannt, würde sie noch leben.“
„Ich verstehe. Dennoch hast du den Menschen das Weihnachtsfest erhalten. Ohne dich gäbe es sicher kein Weihnachten mehr, Lukas. Ohne dich hätte er das Fest vernichtet.“
„Ich weiß nicht, Marek. Den Adventskalender und den Adventskranz - und die Weihnachtskrippe – all das
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