Lukas und die gestohlene Weihnacht
stimmt’s Giselbrecht?“
„Oh ja, das kann ich bezeugen. Zur Weihnachtsnacht sind wir immer sehr lustig. Und bald ist es wieder soweit. Lukas, schön dass du diesmal dabei bist. Wir feiern hier im Haus, alle Bäcker der Stadt kommen nach dem Gottesdienst hierher.“
„Weizenstollen?“, fragte Lukas.
„Was meinst du?“
„Wie macht ihr den Weizenstollen?“ In Lukas keimte ein Verdacht auf.
„Den Weizenstollen hast du doch schon selbst gemacht! Sieht aus wie Brot. Wird nur mit Rüböl statt Butter gebacken. Schließlich ist ja Fastenzeit, da dürfen wir keine Butter verwenden.“
„Ich hab dem Bischof die Weizenstollen gebracht, Lukas!“, sagte Giselbrecht, „Du warst doch dabei!“
„Ach so, diese Brote, die so komisch geschmeckt haben.“
„Das ist das Rüböl, Lukas.“
„Und das wird an Weihnachten an die Armen verschenkt? Die armen Armen!“
„Lukas! Spotte nicht! Dies geschieht im Dienste des Herrn. Wir Bäcker spenden die Weizenstollen.“
„Schon gut, ich wollte nicht lästern, nur einen Witz machen. Wieso bestreut ihr die Stollen mit Puderzucker?“
„Das ist kein Zucker, Lukas, sondern Mehl. Wir bestäuben es mit Mehl, weil der Weizenstollen das Christuskind in Windeln darstellt. Und Windeln sind nun mal weiß, also kommt Mehl auf den Stollen. Und es sieht länglich aus, weil es ein Kind darstellen soll. Das ist unser Weizenstollen.“
Lukas vermutete, dass Weizenstollen später zu Christstollen umbenannt werden sollte. Es war logisch: der Weizenstollen sah aus wie ein Christstollen. Und auch wenn ein Christstollen viel besser schmeckte – schließlich war er hier 700 Jahre vor der Zeit, aus der er selbst die Christstollen als Weihnachtsgebäck kannte -, so wurde ihm doch jetzt klar, dass er hier in Naumburg an der Saale erfunden wurde, und zwar bei Donatus und Giselbrecht und den vielen anderen Bäckern dieser Gegend im Jahre 1329. Lukas wusste endlich, weswegen er hier bei Donatus und Giselbrecht war: Wegen des Weihnachtsbrauchs des Christstollens!
„Machen alle Bäcker diese Christ- äh, Weizenstollen?“
„Christstollen!“, rief Giselbrecht, „Donatus, das wäre ein viel besserer Begriff dafür!“
„Ja“, sagte Donatus, „Alle Bäcker von hier bis Dresden backen Weizenstollen.“
„Und warum fastet ihr?“
„Na, wieso wohl! Lukas, du musst doch noch viel lernen. Obwohl du scheinbar eine Schule besuchst, wie du sagst, was ja eigentlich nur Geistlichen oder Adeligen erlaubt wird, so weißt du doch wenig über unsere christlichen Bräuche! Wir fasten vom 11. November bis Epiphanias, der Ankunft der drei Weisen beim Christkind, am 6. Januar.“
„Das sind 40 Tage Fasten. Wow!“
„Was heißt dieses Wau , das du immer wieder ausrufst? Jedenfalls hast du recht. Darum dürfen wir in dieser Zeit ja auch keine Butter zum Backen verwenden. Am 11. November darf noch einmal geschlemmt werden. Wir essen seit einigen wenigen Jahren Gans am Martinstag.“
„Eine Martinsgans!“, sagte Lukas. „Der Martin war doch so ein Typ, der einem Bettler einmal seinen Mantel lieh, oder?“
„Typ? Was ist ein Typ ? Martin war ein römischer Soldat, der seinen Mantel mit seinem Schwert in zwei Teile zerschnitt und die Hälfte einem frierenden Bettler schenkte.“
„Meine Schwester wüsste das besser als ich. Sie kennt sich mit alten Weihnachtsbräuchen aus und sie kennt auch diese Geschichten drum herum.“
„Alte Bräuche? Lukas, du sprichst ein wenig rätselhaft. Vieles, das du sagst, ist irgendwie merkwürdig. Gerade so, als kämest du aus einer anderen Welt.“
Lukas fragte sich, ob er den Bäckern seine Geschichte erzählen sollte oder nicht. Er hatte Angst, sie würden ihm nicht glauben. Zudem wollte er nicht, dass gerade durch sein Eingreifen in das Geschehen etwas verändert würde. Vielleicht war es dieses Mal besser, er würde seine wahre Herkunft verschweigen, um damit die Bäcker zu schützen. Er könnte doch ganz einfach einen Weizenstollen mitnehmen. Würde der dunkle Mann dann auftauchen und die Weizenstollen oder Christstollen vernichten und die Bäcker dazu bringen, diese nicht mehr zu backen, so würde er warten, bis der dunkle Mann wieder verschwunden wäre und dann könnte er den Christstollen anderen Bäckern bringen, die dann diesen Weihnachtsbrauch sozusagen erfinden könnten. Auf der anderen Seite, überlegte Lukas, vielleicht würde es gerade das Leben der Bäcker retten, wenn sie vom dunklen Mann erfahren würden.
„Lukas, was beschäftigt
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