Lukianenko Sergej
irgendetwas übersehen.«
»Was ist denn hier?«, fragte Trix, als er das große
Schloss sah.
»Das Gefängnis. Für die Seeleute, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen, oder für Gefangene.«
Paclus zielte und spaltete das Schloss mit seinem
Schwert. »Also eigentlich genau der richtige Ort für eine
gefangene Fürstin.«
Trix lugte an dem Ritter vorbei ins Gefängnis, eine
kleine enge Zelle ohne Fenster. An der Decke hing eine
trübe Lampe, auf dem Boden stand ein Nachttopf.
Keine Tiana. Hier war überhaupt niemand.
»Irgendetwas haben wir übersehen«, brummte Paclus
niedergeschlagen. »Weiter, Zauberer!«
»Wo sollen wir denn noch suchen?«, fragte Trix, der am
Boden zerstört war. »Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Die Schatzkammer plündern«, antwortete Paclus.
»Genau«, unterstützte ihn Krakritur. »Gold, Silber,
Waffen!«
»Ja, gehen wir, mein Liebling«, forderte ihn auch Annette auf. Und mit falscher Stimme fügte sie hinzu: »Es
tut mir so leid, dass wir deine Freundin nicht gefunden
haben!«
Von Traurigkeit überwältigt, widersprach Trix nicht
einmal. Unter anderen Umständen hätte er auch gar
nichts gegen leichte Beute einzuwenden gehabt. Wenn
sein Vater von einem Kriegszug nach Hause gekommen
war – was nicht oft vorkam, Solier zeichnete sich nicht
durch besonderen Kampfeseifer aus –, war ihm der kleine
Trix immer als Erster entgegengerannt. Sein Vater hatte
gelacht und ihn hochgehoben, um ihn vor sich aufs Pferd
zu setzen. »Hast du mir was mitgebracht, Papa?«, hatte
Trix gefragt.
»Etwas zum Spielen«, hatte sein Vater geantwortet
und ihm einen schönen kleinen Säbel gegeben.
»Von wem ist das, Papa?«, hatte Trix wissen wollen.
»Vom Hasen!«, hatte sein Vater lachend geantwortet.
»Und ist der Hase jetzt nicht traurig?«
»Aber überhaupt nicht!«
Trix seufzte niedergeschlagen und trottete Paclus hinterher.
Die Schatzkammer lag zwischen der Kapitänskajüte
und der Waffenkammer. Paclus und Krakritur inspizierten
zunächst in der Waffenkammer die Schwerter, Säbel und
Piken, die in Ständern an der Wand untergebracht waren.
Trix ging derweil schon zur Schatzkammer und betrachtete das Schloss an der Tür. Er hüstelte. »Der Kummer verleiht dem jungen Magier solche Kräfte, dass er
ohne Mühe das Schloss zusammen mit der Verankerung
herausreißt«, sagte er möglichst selbstbewusst.
»Herrlich!«, rief Annette, die auf seiner Schulter saß,
und applaudierte.
Trix zog am Schloss. Der Zauber durfte nun wahrlich
nicht als sein bester gelten. Trotzdem löste sich ein
Scharnier samt der krummen Nägel aus dem Holz. Trix
öffnete die Tür – und stöhnte auf.
In der Schatzkammer fanden sich weder Säcke mit
Gold noch Juwelen, noch Würste und Schinken. Eine
helle Lampe brannte, auf dem Boden lag ein bunter Teppich aus Samarschan, an der Wand stand ein Bett. Auf
dem Bett saß die Fürstin Tiana, in einem prachtvollen
langen Kleid aus rosafarbenem Brokat, die Haare mit
einem weißen Band zusammengebunden und mit einem
Stickrahmen in den Händen. Ihr Blick war ängstlich auf
die Tür gerichtet.
»Tiana!«, rief Trix.
Das Gesicht des Mädchens leuchtete auf. Sie warf den
Stickrahmen fort (sie stickte einen Henker, der jemandem
den Kopf abschlug, was wohl hinreichend Aufschluss
über ihre Gedanken geben dürfte) und sprang auf, wobei
sie mit dem Bein geschickt den Nachttopf unters Bett
schob. »Trix!«, rief sie.
In seiner Freude umarmte Trix Tiana sogar. Einige
Sekunden standen sie schweigend da, fest aneinandergeschmiegt.
»Eigentlich solltest du auf die Knie fallen und sagen …«, verlangte Annette. Ihre Stimme und das Surren
ihrer Flügel erstarben derart abrupt, dass jemand die Fee
mit der Faust gefangen haben musste. »Was für eine rührende Begegnung«, bemerkte Krakritur. »Lasst euch
nicht stören!«
Trix und Tiana liefen rot an und wichen auseinander.
Paclus und Krakritur sahen sie gerührt an.
»Stil hat er ja, der alte Gavar«, befand Paclus. »Die
Fürstin in der Schatzkammer einzusperren, das ist symbolträchtig!«
»Wo ist er?«, fragte Tiana bleich. »Gavar, meine ich.«
»Auf dem Meeresboden«, antwortete Trix stolz. »Wir
sind gekommen, um dich zu retten. Das sind meine
Freunde, der edle Ritter Paclus und … der edle Bergbewohner Krakritur.«
Paclus und Krakritur neigten das Haupt. Paclus schien
sogar auf die Knie gehen zu wollen, aber Tiana winkte
ab.
»Lass mich frei!«, rief es erstickt aus Krakriturs Faust.
»Sofort!« Der
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