Lukianenko Sergej
wurden von engeren
Straßen geschnitten, die parallel zum Fluss verliefen. An
den Kreuzungen lagen häufig kleinere Plätze, manchmal
mit einem Springbrunnen oder einem Denkmal in der
Mitte. Trix war daran gewöhnt, dass man zunächst die
Häuser baute und sich erst dann überlegte, wie die Straßen verlaufen sollten. Deshalb hatte er für diese geometrische Pracht nur Skepsis übrig: Wie streng und unbestechlich musste ein Magistrat sein, um einer Stadt diese
Ordnung zu geben! Sicher, es hatte gewisse Vorteile gegenüber den Straßen, die zwei oder drei Mal um die Ecke
bogen, um dann zum Ausgangspunkt zurückzuführen.
Nur stank das förmlich nach herzloser Tyrannei!
Das linke Ufer sah dagegen schon vertrauter aus.
Selbst über den Fluss hinweg vermochte Trix zu erkennen, dass die Straßen nur vor den Brücken so etwas wie
eine Ordnung zeigten.
»Also dann, tschüs!« Der kleine Träger des viel zu
großen Namens zog Trix am Ärmel. »Tschüs, sage ich!
Klaro?«
Trix sah den Jungen irritiert an. In allen Balladen und
Chroniken rettet der Held, der in eine fremde Stadt
kommt, erst mal einen hilflosen Menschen aus dem Unglück: einen hungrigen Jungen, eine Diebin, die gesteinigt
wird, einen verrückten Wahrsager, einen alten weisen
Ritter oder einen Fremden mit Verständigungsproblemen
und in seltsamer Kleidung. Diese Tat ist zwangläufig der
Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Der dankbare
Junge macht den Helden mit der Stadt bekannt; die Diebin stellt sich nach dem Waschen als unbeschreibliche
Schönheit heraus und verliebt sich in ihren Retter; der
Wahrsager gibt ihm ein paar wertvolle Tipps und bleibt
dem Helden stets auf den Fersen, um ihn mit Ratschlägen zu überschütten; der Ritter bringt ihm geheime
Kampftechniken bei; der Fremde entpuppt sich als Prinz
in der Verbannung und Meister des Kampfs mit Gegenständen, die niemand sonst je als Waffe benutzt hätte, zum Beispiel mit ausgestopften Katzen oder nassen
Besen.
Irgendwie lief hier also mal wieder etwas schief.
»Und wohin willst du?«, fragte Trix.
»Hä?« Der Junge begriff nicht gleich. »Nach Hause.
Ich wohne da drüben!« Er zeigte mit der Hand nach
oben. Eine steinerne Straße schlängelte sich zwischen der
Schlucht und den Häusern der Alchimisten den Berg hinauf, wo zwischen grünen Gärten die weißen und azurblauen Dächer der Villen aufblitzten.
»Ei pottstausend!«, stieß Trix aus. »Da oben? Und ich
habe gedacht, du würdest auf der anderen Flussseite …«
»Nein, ich wohne da oben.« Der barfüßige Junge trippelte auf der Stelle. »Klaro. Mein Papa ist Gärtner beim
Gildemeister der Radmacher.«
»Aber du hast doch gesagt, er ist Barde«, rief Trix ihm
in Erinnerung.
»Klaro, war er auch, bis er sich die Stimme weggesoffen hat«, sagte der Junge. »Also, tschüs! Du kämpfst wie
ein echter Ritter. Bei einem Turnier werde ich mit dir
mitfiebern!« Damit verschwand er rasch den Berg hinauf,
die Arme schwingend und ohne sich noch einmal nach
Trix umzusehen.
Trix seufzte. Dass er wie ein Ritter kämpfte, war eine
angenehme Überraschung. Darauf ließe sich in der Tat
aufbauen …
Aber dass er nach seinem Knappen auch noch diesen
kleinen Herumtreiber verloren hatte, das betrübte ihn.
Niemand schien sich sonderlich für Trix zu interessieren.
Entsetzt schoss ihm durch den Kopf, dass der gemeine
Co-Herzog Sator Gris in gewisser Weise recht hatte.
Große Städte lieben kleine Jungs aus der Provinz. Sie
bieten ihnen jede Menge Abwechslung: Kartenspiel und
Würfeln; fingerfertige, gutmütige Taschendiebe; Läden
mit alten Landkarten, Liebeselixieren und seltenen Amuletten; vollbusige, stark gepuderte Frauen mit müdem
Blick; Pferde- und Kakerlakenrennen; Kämpfe zwischen
allerlei Kreaturen, angefangen vom dressierten Krokodil
bis hin zu abgerichteten Basilisken; urige Schenken, in
denen niemand einen Jungen nach dem Alter fragt, wenn
er Branntwein oder Klaren bestellt.
Selbst wenn einem Jungen das Geld ausgeht (bei einer
Begegnung mit einem Taschendieb ist das sehr schnell
der Fall, ansonsten kann es schon einige Stunden dauern),
kehrt er in der Regel nicht nach Hause zurück. Er will in
der großen Stadt bleiben, um sich für die glücklose Bekanntschaft zu rächen.
Und die Stadt bietet ihm jede Möglichkeit dazu. Er
kann: das Kartenspiel und das Würfeln anfangen; die
Finger trainieren, um sie in fremde Taschen zu schicken;
alte Landkarten malen und Liebeselixiere kochen; sich
von hässlichen
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