Lukianenko Sergej
über das Papier, strich hier etwas
aus, verbesserte dort etwas. »Das ist doch widerlich! ›Sie
trieben den Schweiß‹ und ›die Sorge trieb sich‹. Direkt
hintereinander! Ein unverzeihlicher Anfängerfehler! Was
für einen Dämon soll ein solcher Text denn herbeilocken?
Pass auf! Noch mal von vorn!«
Trix nickte und machte sich bereit, erneut zuzuhören.
»Zunächst ließ sich ein Fiepen vernehmen, ein zartes,
kaum zu hörendes Fiepen, gleich dem Gesang der Mücken
in der Nacht«, schmetterte Sauerampfer. »Dann wogten
heiße Wellen durch den Raum, trieben den Schweiß auf
die entsetzten Gesichter. Und die Sorge meißelte sich in
die Gesichter. Schon huschten über die Wände finstere
Schatten …«
Fasziniert und zugleich voller Angst begriff Trix, dass
es in seinen Ohren summte, auf seine brennende Stirn
Schweiß trat und über die Wände vage Lichtreflexe zuckten.
»… als wollten sie Bericht erstatten.« Sauerampfer
hielt inne. Er schüttelte den Kopf. »Wo waren bloß meine
Augen? ›Schatten‹, ›erstatten‹. Ein billiger Reim.
Schrecklich! Verachtenswert! Nicht wahr, mein Junge?«
»Genau«, sagte Trix. »Richtig ekelhaft.«
»Der Text muss sich von selbst sprechen, der Zuhörer
darf über nichts stolpern. Nur dann haben die Wörter
magische Kraft … Noch mal von vorn! – Zunächst ließ
sich ein Fiepen vernehmen, ein zartes, kaum zu hörendes
Fiepen, gleich dem Gesang der Mücken in der Nacht.«
Die erste Zeile gefiel Sauerampfer ohne jeden Zweifel.
»Dann wogten heiße Wellen durch den Raum, trieben
den Schweiß auf die entsetzten Gesichter. Und die Sorge
meißelte sich in die Gesichter. Schon huschten über die
Wände finstere Schatten, als kündigten sie das Erscheinen desjenigen an, den der große Magier herbeirief. ›Zeige
dich, Gelbrond, Dämon des Feuers und der Blitze! Diene
mir bis zu dem Tag, da der Tod selbst entweder dich oder
mich mit sich nimmt! Ich lege dir drei Regeln auf: Unternimm oder unterlass nie etwas, das mir Schaden
bringt, folge jedem meiner Befehle, sofern dies nicht gegen die erste Regel verstößt, und schütze dich gut, jedoch
nur in einer Weise, dass es nicht gegen die ersten beiden
Regeln verstößt!‹ Und schon platzte der Raum mit einem
steinerweichenden Stöhnen, um den Dämon Gelbrond
freizugeben, einen Feuerball mit kohlschwarzen Augen
und Fängen aus Flammenzungen.«
Radion verstummte und wartete.
Trix hielt den Atem an.
Nichts passierte.
»Etwas stimmt hier nicht«, seufzte Sauerampfer. Er
legte das Blatt Papier auf den Tisch, griff erneut nach
dem Kaffeebecher und trank einen Schluck. »Drei Wochen brüte ich nun schon über einem Zauber, mit dem ich
einen Familiar herbeirufen kann!«, erklärte er verärgert.
»Du weißt, was ein Familiar ist?«
Trix zuckte die Achseln. Er wusste es, aber der Magier
wollte es ihm wohl selbst erläutern.
»Ein Familiar ist ein magisches Wesen, das aus einer
anderen Sphäre des Seins herbeigerufen wird. Er gehorcht dem Magier nicht bloß, nein, er wird sein bester
Freund und Gefährte. Er kann sogar magische Fähigkeiten haben. Ein Magier darf es sich als Erfolg und Ehre
anrechnen, wenn er einen Familiar hat, sei dieser auch
noch so schäbig. Also, warum hat der Spruch nicht funktioniert? Warum ist der Familiar nicht aufgetaucht?«
»Vielleicht war der Name falsch.«
»Woher soll ein magisches Wesen überhaupt einen
Namen haben? Hauptsache ist ja wohl, er klingt gut. Und
Gelbrond klingt sehr gut!«
»Vielleicht sind die Worte schon abgenutzt«, schlug
Trix vor. »Vielleicht hat schon mal jemand auf diese
Weise einen Familiar herbeigerufen. Oder sich diese drei
Regeln ausgedacht, die der Familiar befolgen muss.«
»Damit Worte sich abnutzen, müssen sie Hunderte
von Menschen vorlesen. Tausende!« Sauerampfer fuchtelte theatralisch mit der Hand. »Kein Magier würde derart kluge und wohlformulierte Worte hinausposaunen!«
Trix dachte fieberhaft nach. Er wollte helfen, wusste
aber nicht, wie. Außerdem wollte er selbst ja noch etwas
über Magie lernen.
Zum Glück beschloss der enttäuschte Sauerampfer,
seine Forschungen vorerst einzustellen und sich stattdessen seinem Lehrling zuzuwenden. »Lass uns doch mal
sehen, was du für Fortschritte gemacht hast! Gestern habe ich dir die Aufgabe gestellt, auf magische Weise einen
Nagel zu schaffen. Einen ganz normalen Eisennagel. Ist
dir das gelungen?«
Trix senkte den Kopf.
»Verstehe.« Seltsamerweise hob sich Sauerampfers
Laune daraufhin
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