Lukianenko Sergej
und Nachsicht
lagen, die ein zukünftiger Magier gegenüber einfachen
Sterblichen an den Tag legen musste. Die Städter ihrerseits fanden allerdings, der Zauberlehrling starre sie an,
obendrein seien sie ihm absolut gleichgültig – denn was
man sieht, hängt nun einmal davon ab, was man sehen
möchte. Leider.
Trix las in den Augen der Städter übrigens nichts als
Sympathie und Respekt ihm gegenüber.
Alle großen Magier sind sehr faul. Sicher, sobald ein
Schwarzer Herrscher oder Dunkler Gebieter auftaucht,
muss selbst der faulste Zauberer seinen Hintern aus dem
gemütlichen Sessel heben und, auf seinen Zauberstab wie
auf einen normalen Stock gestützt, seinen kraftlosen, kugelrunden Leib ins nächste Gebirge des Todes, in den
Wald des Entsetzens oder die Sümpfe der Verzweiflung
schleppen. Diese finsteren Herren leben ja traditionell an
den entlegensten Orten, sodass der Held erst einmal eine
lange, hässliche und anstrengende Reise hinter sich bringen muss. An deren Ende sind die Zauberer (falls sie die
Begegnungen mit der Bleigrauen Betonschweren Schimäre oder dem Feuerspeienden Aaligmadigen Quälgeist
überlebt haben) schlank, stark und sehr, sehr sauer. Bei
einigen geht die Wut sogar so weit, dass sie den Schwarzen Herrscher nur vernichten, um selbst seinen Platz einzunehmen – und sich den Rückweg zu sparen.
Zum Glück gibt es längst nicht so viele Dunkle Gebieter,
wie in den Volkslegenden behauptet wird, sodass die meisten Zauberer sich ihre Faulheit leisten dürfen. Radion Sauerampfer nun gehörte zu jenen Zauberern, die zwar faul
waren, es aber nicht gänzlich an Arbeitseifer missen ließen.
Das war ein großes Glück für Trix.
Die Eingangstür in Sauerampfers Turm versteckte sich
zwischen zwei schwarzen Steinpfeilern. Es war eine große,
solide Tür aus elfenbeinfarbenem Holz, mit Metallstreifen beschlagen und mit mehreren Schlössern ausgestattet.
Doch Radion vertraute nicht allein auf Schlösser und
Riegel, sondern hatte obendrein auch an einen Wachposten gedacht. Vor der Tür stand, sich mit der Spitze der
Hellebarde in den Zähnen polkend, ein nur etwa mannsgroßer Minotaurus mit glanzlosem grauen Fell.
»Sei gegrüßt, Xeno!«, sprach Trix den Minotaurus an.
»Sei grü…«, nuschelte Xeno. Die Sprache der Menschen brachte er nur mit Mühe heraus. Abgesehen davon
stand Trix bei den Minotauren, die den Turm des Zauberers bewachten, in dem zweifelhaften Ruf, beim geringsten Anlass jeden Stierkopf zu zerschmettern. »Grü…
Tirx.«
Auch Trix brannte nicht gerade darauf, mit dem Minotaurus zu plaudern. Er zwängte sich rasch durch die offene
Tür, wobei er den Korb mit den Einkäufen an sich gepresst hielt. Das Monster ging derweil zum Pferd, nahm
ihm die Zügel ab und führte es auf die Wiese. Radions
Magie sorgte dafür, dass die Pferde von sich aus zur
Weide, zur Tränke und sogar zum Schmied gingen, wenn
sie ein Hufeisen verloren hatten. Sich selbst die Zügel
abnehmen, das konnten aber auch sie nicht.
Von der Sorge als Stallknecht befreit, öffnete Trix eine weitere Tür, diesmal eine aus Holzlatten. Sie führte
zu einem Gitterschacht, der durch den Turm des Magiers hinauf zur Spitze führte. Am Boden des Schachts
lag eine hölzerne Plattform, an deren Ecken dünne
Hanfseile befestigt waren, die sich ebenfalls zur Spitze
hinaufzogen.
Trix betrat die Plattform, stellte den Korb ab und zog
an einem Hebel. Unter ihm setzte sich ein Mechanismus
in Gang. Weiter oben rumorte etwas.
Trix wartete.
Die Seile strafften sich. Da sie nicht gleichmäßig anzogen, hob sich zunächst nur eine Ecke der Plattform
leicht in die Luft. Das kam jedoch so häufig vor, dass
Trix schon keine Angst mehr bekam. Außerdem waren
auf der Plattform stabile Leisten befestigt, gegen die man
die Füße stemmen konnte. Zusätzlich gab es noch ein
paar Schlaufen, wie Trix vermutete, für den Fall, dass die
Neigung allzu stark war. Dann wurde man eben an den
Händen baumelnd zum Turm hochbefördert.
Er wollte aber lieber nicht wissen, ob seine Vermutung
stimmte.
Die Plattform ächzte, die Seile knarzten, unter der
Turmspitze, die näher und näher kam, rumpelte der Mechanismus immer lauter. Trix trat von einem Bein aufs
andere und starrte stur auf seine Füße.
Ein talentloser Magier hätte bestimmt eine Treppe benutzt, ein überheblicher einen Zauber gewirkt, der mit
jedem Tag schwächer würde. Ein fauler jedoch gab Geld
für einen Fachmann aus, der ihm jenes in der feinen
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