Lukianenko Sergej
Lehre
sein!«
Dagegen gab es nichts zu sagen.
»Gib mir mal die Nägel«, verlangte Sauerampfer. »Ich
repariere den Aufzug selbst. Eine innere Stimme sagt
mir, ich sollte dir eine derart komplizierte Aufgabe wie
die, zwei Bretter mithilfe eines Nagels zu verbinden, besser nicht anvertrauen. Die Blumen stell in die Klosetts.
Den Tulpenstrauß in meins, den anderen in deins. Und
vergiss nicht, sie alle zwei Tage zu wechseln.« Er sah
noch einmal auf die Fee. »Und du hast wirklich nicht
gewollt, dass sie … äh … größer ist?«
»Wirklich nicht.«
»Ich trau mich gar nicht, meinen Kollegen davon zu
erzählen«, sagte Sauerampfer bedrückt. »Sie werden
nicht über dich lachen, sondern über mich. Und morgen
erwarte ich Gäste … ein kleines Symposium …« Er
dachte nach. Schließlich streckte er die Hand aus und
kitzelte der Fee vorsichtig den Bauch.
»Mein Lieber«, sagte die Fee zärtlich und reckte sich.
Als sie die Augen öffnete, setzte sie jedoch eine finstere
Miene auf und sprang hoch. »Was soll das? Ich bin eine
anständige Fee!«
»Ich wollte dich nur wecken«, sagte Sauerampfer.
»Sag mal, was kannst du?«
Die Fee schwieg beleidigt.
»Trix, frag du sie!«
»Annette, was kannst du?«
»Im Mondlicht tanzen, mein Liebster«, säuselte die Fee.
»Und sonst? Züchtest du Blumen?«
»Ich bin eine Blumenfee, keine Gärtnerin! Sollen sie
doch selbst wachsen!«
»Verstehe«, sagte Radion. »Du bist ein absolut nutzloser Familiar.«
»Sie ist schön!«, rief Trix, was ihm einen verzückten
Blick von Annette einbrachte.
»Ich werde dir eine starke Lupe schenken«, stichelte
Radion. »Gut, lassen wir das. Immerhin hast du damit
bewiesen, dass deine Fähigkeiten wachsen. Einen Familiar herbeizurufen … egal was für einen … das ist ein
starker Zauber. Schade, dass wir nicht auch unsere finanziellen Schwierigkeiten mit Magie beheben können.«
Er sah Trix mit einem Blick an, der bedeutete: Undjetzt-sieh-zu-dass-du-verschwindest. Trix kannte diesen
Blick. So hatte ihn seine Mutter angesehen, wenn er in
ihr Zimmer geplatzt war, während sie sich mit ihren
Freundinnen unterhielt. So hatte ihn sein Vater angesehen, wenn er während eines hitzigen Gesprächs unter
Freunden – übers Angeln, die Jagd oder »dem Herrscher
verzeihliche Fehltritte« – im Thronsaal aufgetaucht war;
seine Mutter nannte diese Fehltritte übrigens unverzeihlich, doch beide weihten Trix nicht in Details ein.
»Ich habe ein kleines Haus in Dillon«, sagte der Magier. »In drei Tagen will ich dorthin aufbrechen. Aber
jetzt kommt mir eine fabelhafte Idee. Wo du schon so
selbstständig bist und jetzt sogar einen Familiar hast,
schicke ich dich vor. Damit du dich um alles kümmerst,
die Böden schrubbst, das Geschirr abwäschst und einkaufst. Nimm dir Kupferlinge aus den Truhen!«
»Mach ich«, antwortete Trix. »Schließlich weiß ja
niemand, dass ich ein Magier bin, oder?«
»Offiziell bist du auch kein Magier«, erinnerte ihn Radion. »Und das Geld … Im Zweifelsfall ist es deins. Das
verstehst du doch?«
Trix nickte.
»Lass niemanden die Fee sehen!«, befahl Sauerampfer.
»Sie soll in deiner Tasche bleiben! Oder unterm Hemd!«
»Unterm Hemd! Unterm Hemd!«, rief die Fee begeistert. »Näher bei dir, mein Liebster.«
Trix wurde rot und lüpfte die Brusttasche seines Umhangs. Die Fee verstand ihn ohne Worte. Seufzend flog
sie in die Tasche. »Du kannst dir ein Loch bohren, dann
ist es nicht so langweilig«, sagte Trix. »He! In welche
Richtung bohrst du denn?«
»In deine, mein Liebster! Ich seh dich so gern an!«
»Bohr nach außen! Kommt gar nicht infrage, dass du
mich die ganze Zeit angaffst!«
»Also ich muss schon sagen, in gewisser Weise seid
ihr beide wie füreinander geschaffen!« Radion Sauerampfer sandte einen Blick zur Decke. »Trix!«
Trix brachte mit jeder Faser seines Körpers seine Aufnahmebereitschaft zum Ausdruck.
»Mach mir keine Schande, ja?«, bat Sauerampfer.
»Konzentrier dich! Denk erst, bevor du handelst! Bei
Tagesanbruch machst du dich auf den Weg, dann bist du
abends in Dillon.«
»Ich werde Euch keine Schande machen, Lehrer!«,
versicherte Trix eifrig.
2. Kapitel
E
s gibt nichts Angenehmeres, als an einem heißen
Sommertag unter einem verzweigten Baum zu sitzen, aus einem Tonkrug kalten Apfelwein zu trinken und
die Reisenden zu beobachten. Vor allem, wenn sich der
Tag dem Ende zuneigt und jemand einen erschöpften,
voll beladenen Grauschimmel am Zügel vorbeiführt, der
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