Lukianenko Sergej
und hellblondem
Haar. Jeder, der sie sieht, ruft: ›Was für ein hübsches
Mädchen!‹ Aber Annette zeigt sich den Menschen nur
selten. Tagsüber schläft sie in einer Tulpenkrone, nachts
tanzt sie im Mondlicht über die Wiesen und singt lustige
Liedchen. So war es jedenfalls bis zu jenem Tag, da sie
eine wohltönende Stimme hörte und aus der Tulpe lugte,
einen schönen Jüngling erblickte und sich so tief und fest
in ihn verliebte, wie es nur Feen können, bis zu dem Tag,
da der Tod die beiden scheidet … Ah!«
Ein freundliches kleines Gesicht, gerahmt von blonden
Locken, tauchte aus der Tulpe auf und warf Trix einen verzückten Blick zu. Es folgten zwei kleine Hände, die nach
den Blütenblättern fassten, und dann zeigte sich das ganze
winzige Mädchen, das ein Kleid aus Kornblumenblüten
trug. Es setzte sich auf die Blume, baumelte mit den nackten Beinen und stützte den Kopf in die Hand. »Wie schön
du gesprochen hast!«, sagte die Fee mit leiser, aber klarer
Stimme. »Wie hübsch du bist! Wenn du wüsstest, wie sehr
ich dich liebe! Ich könnte den ganzen Tag deiner Stimme
lauschen. Und im Mondlicht werde ich für dich tanzen.«
»Ich … ich … ich muss jetzt gehen«, stotterte Trix
und kroch von der Tulpe weg.
»Dann lass uns gehen, mein Liebling«, sagte die Fee.
Als sie sich erhob, sah Trix auf ihrem Rücken kleine
durchscheinende Flügel. Sie flog hoch in die Luft. »Wo
du bist, da will auch ich sein. Nur muss ich zuvor noch
etwas essen.«
Wie eine Libelle surrend, sauste sie auf einen Halm mit
fünffingrigen Blättern und fahlen gelbgrünen Blüten zu.
Trix sprang auf. Er wischte sich den Schweiß ab, der
ihm auf die Stirn getreten war. Alles war still, eine Fee
konnte er nirgends entdecken. »Ich muss einen Sonnenstich haben«, sagte er zu sich selbst. Er klopfte gegen die
Tasche – die herbeigezauberten Nägel waren noch da –
und nahm die beiden Sträuße an sich.
Da stieg aus einer Blume in der Nähe die Fee auf. Ihr
Flug war irgendwie torkelnd. Sie plumpste in einen der
beiden Sträuße und streckte sich kichernd zwischen den
Blumen aus.
»Was hast du denn?«, fragte Trix.
»Nix!« Die Fee kicherte und strampelte mit den winzigen Beinchen. »Du bist echt toll! Wie heißt du denn?«
»Trix.«
»Ich bin Annette. Hihi!«
»Warum lachst du ständig?«
»Nach dem Essen muss ich immer kichern.« Annette
rekelte sich zufrieden. »Ich schlaf jetzt, ja? Ich habe die
ganze Nacht im Mondlicht getanzt …«
Meister Radion Sauerampfer musterte die auf Trix’ Hand
schlafende Fee lange und eingehend. »Was, sagtest du,
hat sie zu Mittag gegessen?«, fragte er schließlich.
»Diese krautige Pflanze, die da wächst, sie ist ganz
unscheinbar und hat solche Blätter.« Trix spreizte die
Finger. »Und die Blüten sind klein und gelbgrün.«
»Warum hast du ihr nicht gleich den Saft der Mohnblume gegeben?! Gratulation, mein Junge, ganz großartig! Du bist der erste Magier der Geschichte, der eine
rauschkrautsüchtige Fee als Familiar hat.«
»Und was … was soll ich jetzt machen?«
»Wie was ? Du hast doch selbst gesagt: bis dass der
Tod euch scheide. Wenn du willst, stürze dich also vom
Turm! Erschlage sie mit einem Pantoffel oder ertränke
sie im Nachttopf!«
»Nein!« Trix schüttelte den Kopf. »Das geht doch
nicht! Sie ist so gut und so schutzlos. Außerdem liebt sie
mich.«
»Dann finde dich mit ihrer Gesellschaft ab«, sagte Radion erbarmungslos. Als er Trix’ unglückliche Miene
sah, fügte er etwas sanfter hinzu: »Normalerweise leben
Blumenfeen nicht lange. Einen Sommer. Das Dumme ist
nur, dass die Blumen um meinen Turm herum auch magisch sind, sie wachsen und blühen jedes Jahr. Was das
heißt, wage ich mir nicht mal vorzustellen. Vielleicht
stirbt sie im Herbst, vielleicht lebt sie aber sogar länger
als du.«
»Ist sie denn nützlich?« Trix schaffte es nicht, einen
Seufzer zu unterdrücken. »Kann sie irgendwas?«
Meister Sauerampfer dachte nach. »Eigentlich dürfte
unsere kleine Kräuterfee Blumen bestäuben. Vielleicht
haben ihre magischen Fähigkeiten Einfluss auf das
Wachstum der Blumen. Frag sie mal danach, wenn sie
aufwacht. Mir wird sie nicht antworten, denn das ist dein
Familiar. Wenn sie nur etwas größer wäre … dann könnte
sie sich in der Küche nützlich machen. Das würde ihr
natürlich nicht schmecken, aber aus Liebe zu dir würde
sie kein Wort sagen … Was hast du da nur angestellt,
mein Junge? Lass dir das für die Zukunft eine
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