Lukianenko Sergej
während er den Brief wieder wegsteckte. »Vier
Fässer.«
»Aha«, brummte Sauerampfer.
»Und Tiana auch«, ließ der Regent beiläufig fallen.
»Was?«
»Ich habe Tiana abgeschickt. Zu den Kristallenen Inseln. In Begleitung des Ritters und Magiers Gavar. Aber
nicht in einem Fass. Ich habe ganz offen mit ihr geredet,
wie ein zärtlicher und liebender Vormund. Und sie hat
alles verstanden und zugegeben, dass ihre nächtliche
Flucht … äh … nicht ganz passend für eine Fürstin war.«
»Hass, was geht hier vor?«, fragte Sauerampfer leise.
»Seine Majestät überlässt den Vitamanten die mögliche
Thronerbin?«
»Das Mädchen tut mir aufrichtig leid. Aber … es gibt
Gerüchte …« Er verstummte. »Dass Ihre Majestät die
Königin Gliana, die in der letzten Zeit tüchtig zugelegt
hat, schon im nächsten Monat offiziell bekannt geben
wird …«
»Diese Neuigkeit freut mich ebenso wie jeden treuen
Untertan«, sagte Sauerampfer. »Aber darauf zu hoffen …«
»Es ist der Wille des Königs«, stellte Hass klar.
»Die Vitamanten …«
»… könnten erneut bei uns einfallen. Richtig – aber
genau das brauchen wir in der nächsten Zeit nicht zu befürchten. Vielleicht sogar nie wieder. Womöglich gelingt
es uns ja, eine friedliche Koexistenz aufzubauen?«
»Mit Wesen, die die Toten aus den Gräbern holen?«,
ereiferte sich Sauerampfer.
»Sachte, sachte!« Hass gestikulierte wild. »Erstens
wollen die Toten auch leben. Zweitens wollen alle länger
leben. Oder etwa nicht? Und drittens ist es der Wille des
Königs.«
»Und die Fürstin ist bereits …«
»Sie segelt bereits zu den Kristallenen Inseln und
wird, sofern alles gut geht, in einer Woche dort ankommen.«
»Gestattet, dass wir uns zurückziehen, Regent«, sagte
Sauerampfer.
»Aber sicher«, murmelte Hass und machte mit der
Hand ein Zeichen, worauf es in den Gebüschen leise raschelte. »Es hat mich gefreut, dass wir über diese komplizierte Situation gesprochen und uns der Weisheit des
Königs gebeugt haben. Und vergiss nicht, die Grundsteuer
zu bezahlen, Radion!«
Während Sauerampfer mit dem enttäuschten Trix
(Hass hatte ihn am Ende gar nicht mehr beachtet) zum
Ausgang des Gartens ging, widmete sich der Regent
wieder den Rosenbüschen. Trix sagte kein Wort. Er
konnte den Grund seiner Traurigkeit nicht ganz verstehen, schließlich hatte es doch gar keine Verschwörung
gegeben, außerdem stimmte Tiana, wollte er dem Regenten glauben (und Trix hatte den Eindruck, dass Hass nie
log, zumindest nicht offen), der Heirat mit dem Vitamanten nun anscheinend zu.
Trotzdem wurde er immer trauriger.
»Ich verstehe das nicht«, brummte Sauerampfer, als
sie erneut durch das Regenbogentor gegangen waren.
»Was versteht Ihr nicht, Herr Lehrer?«, fragte Trix.
»Der Brief war von der Hand des Königs geschrieben,
es war sein Stil. Das Siegel war auch echt. Also lügt der
Regent nicht. Der König will wirklich ein Bündnis mit
den Vitamanten eingehen. Aber König Marcel der Lustige
hätte niemals und um keinen Preis der Welt einem solchen Bündnis zugestimmt!«
»Warum nicht?« Trix wollte sich die Redseligkeit seines Lehrers zunutze machen.
»Du weißt nicht, was die Vitamanten sind, mein Junge«,
antwortete Sauerampfer nachdenklich. »Vielleicht ist es
an der Zeit, dich über verschiedene Dinge ins Bild zu
setzen.«
Trix nickte heftig.
»Die Magie gestattet es uns, über tote und lebende
Materie zu gebieten«, begann Radion. Dieses »uns« ließ
Trix vor Stolz die Brust schwellen. »Wir können einen
Stoff in einen anderen verwandeln … mit den Beschränkungen, die du bereits kennst. Und wir können aus dem
Idealen etwas Lebendes schaffen.«
»Aus dem Idealen?«, fragte Trix.
»Ja. Zum Beispiel deine dumme und nutzlose Fee.
Was meinst du, woher sie kommt?«
»Von daher, woher auch Eure schlauen und nützlichen
Minotauren kommen«, antwortete Trix, nachdem er kurz
nachgedacht hatte. »Ich habe sie mir ausgedacht und ihr
befohlen, sich zu zeigen.«
»Richtig. Die alten Weisen haben es wie folgt ausgedrückt: Der Verstand schafft die Idee, das Wort die Sache.
Wenn etwas überzeugend ausgedacht ist, ist es schon so
gut wie vorhanden!«
»Aber als ich Euch gesagt habe, ich hätte bereits alle
Reagenzgläser und Kolben ausgespült, obwohl ich
mich gerade erst an die Arbeit machen wollte«, hielt
Trix dagegen, »da habt Ihr mir ordentlich die Leviten
gelesen.«
»Weil es da um das tägliche Leben ging!« Sauerampfer verzog das Gesicht. »Die reale
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