Lukianenko Sergej
hatte in seiner Bibliothek ein Buch über
die Vitamanten«, erinnerte sich Trix. » Der lebende
Leichnam . Aber ich durfte es nicht lesen.«
»Ach das«, winkte Radion ab. » Der lebende Leichnam ist schon völlig überholt. Ich würde dir empfehlen, Die
Lebenden und die Toten zu lesen, da hast du mehr davon.
Oder Die toten Seelen , ein Standardwerk, das Klaus der
Mitleidige geschrieben hat. Leider hat er den zweiten
Band verbrannt …«
»Jedenfalls dürfen wir Tiana nicht den Vitamanten
überlassen!«, unterbrach ihn Trix. »Wenn das solche
Fieslinge sind, dürfen wir das unter gar keinen Umständen!«
»Du hast doch gehört, es ist der Wille des Königs.«
Der Zauberer holte aus der Tasche seines Umhangs einen
Tabaksbeutel und seine Pfeife. Er sah sich um. In der
Nähe stand ein eleganter Pavillon, in dem ein müder
Wanderer sich ausruhen und die Aussicht auf Fluss und
Stadt genießen konnte. Dem Pavillon zog Sauerampfer
jedoch einen moosbewachsenen Stein vor, auf den er sich
setzte. Er fing an, seine Pfeife zu stopfen. Trix sah den
Zauberer befremdet an. »Du missbilligst das?«, fragte
Radion.
»Schon«, gab Trix zu.
»Ich rauche auch nicht gern«, räumte Sauerampfer ein.
»Aber für einen echten Zauberer gehört es irgendwie
zum guten Ton. Auf einem Stein sitzen, rauchen, nachdenken, Rauchwolken ausstoßen …«
»Kann man so besser nachdenken?«, fragte Trix.
Sauerampfer ließ seufzend einen Rauchring aufsteigen. »Ich habe dir das schon erklärt, Schüler. Die Arbeit
eines Zauberers hängt sehr stark von der Meinung seiner
Umgebung ab. Welchen Respekt bringt man denn schon
einem Zauberer entgegen, der auf einer kleinen Bank in
einem Pavillon sitzt und auf den Fluss schaut? Aber ein
Zauberer, der sich müde auf einem Stein am Wegesrand
niederlässt, sodass die Schöße seines Umhangs im Staub
liegen, ein Zauberer, der nachdenklich seine Pfeife
schmaucht und versponnene Figuren aus aromatischem
Rauch in die Luft aufsteigen lässt, das ist ein schönes
Bild. Das lässt niemanden kalt.«
»Was unternehmen wir also wegen Tiana?«, drängelte
Trix.
Sauerampfer stieß einen weiteren Rauchring aus.
»Selbst wenn irgendein Spion jetzt versuchen würde, das
Gespräch des weisen Zauberers mit seinem bekümmerten
Schüler zu belauschen, würde er keinen Laut vernehmen«, sagte er. »Eine unsichtbare Mauer der Stille umgibt den Magier und seinen Schüler, eine Mauer, hinter
der sie ruhig miteinander sprechen können, ohne fürchten
zu müssen, gehört zu werden … weil sich ihr Gespräch
um sehr ernste und gefährliche Dinge dreht, die den Zorn
der Mächtigen dieser Welt auf sie lenken könnten.«
Trix spürte, wie die Geräusche um sie herum verstummten, die ihm bisher gar nicht aufgefallen waren. Es
erstarben das Zirpen der Zikaden, das Rascheln der Blätter, das Quietschen der Räder der schwer beladenen Karren, die langsam den Berg zum Palast hochfuhren. Der
frische Wind erreichte die beiden zwar noch, nun aber
lautlos.
»Also, Trix«, begann Sauerampfer, »ich darf mich
nicht über den Befehl des Königs hinwegsetzen. Aber ich
kann einfach nicht glauben, dass Marcel freiwillig einem
Bündnis mit den Vitamanten zugestimmt hat. Er hat gegen sie gekämpft und fürchtet weder Tod noch einen
neuen Krieg, ich vertraue ihm.«
»Dann ist vielleicht der Brief …«
»Der Brief ist echt. Also, was heißt das?«
Trix zuckte schweigend die Achseln.
»Marcel muss irgendeine Intrige ausgeheckt haben«,
erklärte Sauerampfer. »Er lullt die Vitamanten ein …
lockt sie in eine Falle … macht ihnen vor, er wolle Frieden …«
»Aber Tiana!«
»Dass der König die Fürstin opfert, wäre ihm ohne
Weiteres zuzutrauen«, entgegnete der Zauberer. »Werden
nicht immer wieder Ehen zwischen zwei Geschlechtern
allein um eines großen Ziels willen geschlossen?«
»Aber sie ist doch noch ein Kind!«, sagte Trix errötend.
»Und Evykait ist alles andere als das. Glaube mir,
nach Jahrhunderten, in denen er sich mit Magie beschäftigt hat, sind … äh … Liebesspiele das Letzte, wonach er
sich sehnt. Die Fürstin wird als seine Frau gelten. Aber
sie wird in einem anderen Schloss leben. Evykait wird
um seiner Sicherheit willen nicht eine Minute allein mit
Tiana bleiben, schließlich könnte es ja sein, dass sie ihn
vergiften, ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden oder
ihn mit einem schrecklichen Zauber belegen soll. Die
beiden werden nach allen Regeln der Kunst Hochzeit
feiern, aber dann wird Evykait
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