Lukkas Erbe
Schultern und fiel auf den nassen Weg. Sie kümmerte sich nicht darum. «Willst du sehen, wo sie gestorben ist? Nur keine Scheu. Ich zeige es dir gerne. Das bringt garantiert mehr, als die Sache nur von außen zu betrachten. Ich kann dir sogar ihr Blut zeigen. Es ist noch da, jeder Tropfen. Willst du es sehen?»
Achim Lässler entzog ihr seinen Arm und ging. Nicole schaute ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war. Dann meinte sie: «Das wäre nicht nötig gewesen. Es hat ihn ziemlich aus der Bahn geworfen. Er packt es einfach nicht.»
Für Miriam klang es fast, als hätte ihre Mutter sie getadelt. Und das war zu viel. Sie hob die Decke vom Weg auf, mochte sich das verschmutzte Ding jedoch nicht wieder um die Schultern legen. Den Schaden an ihrem Jaguar streifte sie nur mit einem flüchtigen Blick und sagte: «Ich nehme an, du bist versichert, Herzchen. Klingel kurz, wenn du mehr Zeit hast. Wer so früh unterwegs ist wie du, muss doch bestimmt dringend irgendwo hin. Und ich muss wieder ins Warme.»
Sie ging zurück ins Haus. Die Wut über den Irrtum und die Blamage klang allmählich ab. Zurück blieb ein Gemisch aus Sehnsucht nach ihrer Mutter und etwas, das sie nicht genau benennen konnte. Eine Zeugin, die gesehen hatte, wie Heinz Lukka eines seiner Opfer ins Haus führte. Die blonde Schönheit kannte auch des Mörders Henker, vermutlich konnte sie etwas mehr erzählen als die wenigen Zeitungsartikel.
27. August 1997
Es war ein Mittwochabend. Der Mann stand verborgen im Gesträuch nahe dem Birnbaum und dachte an Rita Meier.
Sie hatte ihn noch einmal gesehen – vor vier Tagen auf dem Friedhof. Wieder hatte sie ihn so nachdenklich angeschaut. Dann hatte sie ihn angesprochen: «Kennen wir uns?»
Als er darauf nicht reagierte, war das Begreifen in ihren Augen offensichtlich. Sie wurde ausfallend, beschimpfte ihn in übelster Weise: «Du elende Sau, du wagst es …» Gedroht hatte sie ihm wie Svenja Krahl vor zwei Jahren. «Wenn du dich nochmal in meiner Nähe blicken lässt, warst du die längste Zeit draußen.»
Seitdem war er jeden Abend beim Birnbaum, überlegte, was er tun könnte, ob er etwas tun müsste oder ob es reichte, wenn er sich verhielt wie in den letzten Wochen – nur zuschauen und sich dabei Erleichterung verschaffen. Aber jetzt hatte Rita Meier ihn richtig gesehen, wenn sie es nicht bei ihrer Drohung beließ …
Der große Fleck nackter Erde beim Birnbaum, wo Lukkas Opfer gelegen hatten, sagte ihm deutlich, dass es nur eine Lösung gab. Er musste zum Lerchenweg gehen, an Rita Meiers Tür klingeln, sie in die Diele drängen, wenn sie öffnete, die Hände um ihren Hals legen und zudrücken, fester als bei Svenja Krahl.
Auf dem Weg ging Nicole Rehbach vorbei und lenkte seine Gedanken ab. Er wartete, bis nicht mehr die Gefahr bestand, dass sie ihn bemerkte. Dann folgte er ihr. Das hatte er schon oft getan. Der Anbau im Garten von Hartmut Rehbachs Eltern war ohne jedes Risiko für ihn. Auf dem breiten Weg kam spätabends nur selten jemand vorbei. Und selbst wenn, er konnte jederzeit Deckunghinter der Garage nehmen, aus sicherer Entfernung die schöne blonde Frau beobachten und ihren Mann im Rollstuhl.
Von der Garage führte ein Betonpfad zur Terrasse, der in eine Rampe überging. Die Tür stand weit offen, als er die Garage erreichte und dahinter Deckung bezog. Er hatte sich schon oft ausgemalt, einfach loszugehen. Ihr Mann wäre kein Gegner gewesen. Aber das durfte er nicht tun.
Um nicht in Versuchung zu geraten, lief er los, Richtung Bungalow.
Das große Grundstück war nicht mehr frei zugänglich. Miriam Wagner hatte schnell wachsende Zypressen auf die Grenze pflanzen lassen. Die hohe grüne Wand ragte neben dem Weg zum Lässler-Hof auf, schloss den Bungalow von drei Seiten hermetisch von der Umgebung ab. Nur die Vorderfront lag noch offen, der Vorgarten wurde nur von einem niedrigen Zaun begrenzt.
Er lief an der grünen Hecke entlang, bog vom Weg ab nach rechts in einen schmalen Pfad zwischen zwei Feldern. Den Lässler-Hof umrundete er in weitem Bogen, wollte nicht gesehen werden, nur den Weg erreichen, der am Bruch entlang zum Bendchen führte. Schon von weitem sah er, dass am Waldsaum drei Autos standen.
Die Bürgerwehr patrouillierte immer noch, zusätzlich schlossen die Pärchen sich jetzt häufig zu einem Konvoi zusammen, parkten dicht beieinander, um sich im Notfall gegenseitig helfen zu können. Mit Decken ins Freie wagte sich niemand mehr.
Am Bruch machte er
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