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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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sich zu rasieren, die Nägel zu schneiden und vor dem Essen die Hände zu waschen. Nur der Himmel wusste, welchen Unsinn Bruno Kleu ihm beibrachte. Traktor fahren, wozu sollte das noch gut sein, er dürfte es ja doch nicht tun, wenn er es jemals lernen sollte, woran Trude nicht glaubte.
    Sie kramte ein Grablicht und eine Schachtel Zündhölzer aus ihrer Tasche, drückte ihm die Schachtel in die Finger und sagte: «Mach ein Licht an für Britta.»
    Zu Hause hatte sie noch schnell mit ihm geübt, wie er ein Zündholz anreißen und einen Docht in Brand setzen musste. Nur damit es auf dem Friedhof reibungslos klappte, falls jemand in der Nähe gewesen wäre. Aber sie waren allein. Ein junger Mann und seine Mutter, die aus Angst um ihren Sohn drei junge Menschen zum Tode verurteilt und der eigenen Tochter die unbeschwerte Jugend und die Gesundheit genommen hatte. Sie hatte so viel Schuld auf sich geladen, dass es sie fast schon auf dem Friedhof erdrückte.
    Mit einer raschen Bewegung führte er das Zündholz über die Reibfläche und schützte die Flamme mit der hohlen Hand. Trude hielt ihm das Grablicht hin. Nachdem er es angezündet hatte, bückte er sich und stellte es zwischen die Blumen.
    Im Aufrichten fragte er: «Fein?»
    «Ja», sagte Trude unkonzentriert, «das hast du gut gemacht.»
    Dann ging sie mit ihm zurück zum Ausgang. Er schaute sich immer wieder um, fragte noch ein paar Mal: «Fein?»
    «Ja», sagte Trude erschöpft. «Es ist ein schöner Platz, friedlich und still. Wer hier liegt, hat keine Sorgen mehr, keine Schuld und keine Angst. Wirst du mich besuchen, wenn ich hier liege? Wirst du mir Blumen bringen und ein Licht für mich anzünden?»
    Er nickte, schaute suchend über die Grabreihen, als erwarte er, dass sie noch einmal Halt machte. «Fein?», fragte er erneut.
    «Bei Marlene waren wir doch schon», sagte Trude. «Und die beiden anderen sind nicht hier. Sie sind auf dem Friedhof, wo ihre Mütter und Väter sie besuchen können. Frau Halinger hat dir doch erklärt, dass sie nach Hause gebracht werden müssen.»
    Was ich ihm erklärt hatte, kümmerte ihn nicht mehr. Falsche Worte, immer nur falsche Worte. Da sagte seine Mutter, dass sie zu den Mädchen gingen, und führte ihn an Erde, Steinen und Holzkreuzen vorbei, ließ ihn ein Licht anzünden für Britta. Aber Britta war nicht da.
    Die Zeit des Grübelns war für ihn vorbei wie vieles andere. Ein paar Wochen Ruhe an der Seite seiner Mutter, er hatte auf seine Art gründlich über alles nachgedacht, seine Schlüsse gezogen und die wenigen Menschen in seiner Umgebung neu geordnet. Sie waren nicht mehr nur gut, neutral oder bedrohlich. Jetzt sortierte er sie in vorbei, dumm, richtig, falsch und schutzbedürftig.
    Britta, Antonia, Annette, Paul, Andreas und Achim Lässler, seine Schwester Tanja, die schönen Mädchen und sein Freund Lukka waren alle vorbei. Sein Vater war dumm, Bruno sagte das oft. Seine Mutter war falsch, aber auch schutzbedürftig, weil sie das letzte Fein war in seinem Leben, die Letzte, die sich seinen Kopf an dieBrust oder die Schulter zog, ihm übers Haar strich, ihm manchmal einen Kuss auf die Wange gab und sich von ihm auf die Wange küssen ließ.
    Richtig, was so viel wie ehrlich und aufrichtig bedeutete, war nur noch Bruno Kleu. Von Bruno hatte er noch nie einen Schlag, auch sonst keinen Schmerz hinnehmen müssen und noch kein falsches Wort gehört – nur etliche, die er nicht kannte. Und Bruno vermittelte ihm zum ersten Mal das Gefühl, er sei wichtig für einen anderen Menschen. Er könne etwas geben, was Bruno unbedingt brauchte, eine Antwort.
    Wenn sie am Abend in die Scheune gingen, sagte Bruno manchmal: «Ich wüsste zu gerne, was der Scheißkerl mit ihr gemacht hat. Ob sie so lange leiden musste wie Britta. Manchmal denke ich, ich könnte es abhaken, wenn ich wüsste, wie sie zuletzt ausgesehen hat.»
    Ben wusste das. Ich hatte ihn gewarnt, er würde wieder eingesperrt werden, wenn ein Mensch erführe, dass er sie begraben hatte. Das hatte er sich gemerkt. Aber von begraben sprach Bruno nie. Und ich hatte ihn nicht gewarnt zu zeigen, auf welche Weise sie gestorben war und wie sie dabei ausgesehen hatte.
     
    Dass der Friedhof nicht der richtige Platz war, Ben die Unwiderruflichkeit des Todes begreiflich zu machen, erkannte Trude in ihrem Elend nicht.
    Sie war völlig erschöpft. Der lange Weg ins Dorf, die beiden Gräber und so viel Schuld. Sie war nicht sicher, ob sie ihrem Herzen noch den Rückweg zumuten

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