Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
durfte.
     
    Zurück auf den Hof und bis in die Küche kam Trude noch, zu einem Stuhl oder der Eckbank schaffte sie es nicht mehr. «Jetzt lass ich dich allein.» Diesen Satz hörte Bruno Kleu noch durchs Telefon. Als seine Mutter zusammenbrach,rief Ben an, wie Bruno es ihm beigebracht hatte. «Fein weh.»
    Jakob und Bruno Kleu kamen nur zehn Minuten später ins Haus. Für Trude konnte niemand mehr etwas tun, das sah Bruno auf den ersten Blick. Ben saß mit ihr auf dem Fußboden in der Küche, hielt sie im Arm und drückte sich ihr kleines, verhärmtes Gesicht an die Brust. Jakob setzte sich einfach daneben.
    Bruno verständigte den Notarzt, der kurz darauf eintraf. Aber Ben war nicht bereit, einen Fremden an seine Mutter zu lassen. Er duldete es nicht einmal, dass Jakob sie anfasste. «Finger weg.»
    Nur ein Grollen, so tief aus der Kehle, dass Bruno unwillkürlich an einen Hund denken musste, der im nächsten Moment zuschnappen würde. «Ganz ruhig, Kumpel», sagte Bruno und spürte neben einem Anflug von Erleichterung, dass mit Trude ein großes Hindernis aus dem Weg war, nur Mitleid.
    Wie Ben da mit der Leiche auf dem Boden saß, sie in den Armen wiegte, als hielte er ein Kind. Mehr war Trude auch nicht in seinen Armen. Gute zwei Zentner Verzweiflung, zwei Meter Panik, mehr als Bruno je bei einem Menschen gesehen hatte. «Ganz ruhig, deiner Mutter kann niemand mehr wehtun.»
    Bruno knöpfte sein Hemd auf, nahm Bens linke Hand und legte sie sich auf die Brust. «Fühlst du, wie es klopft?» Dann drückte Bruno ihm die Hand gegen die eigene Brust. «Da klopft es auch, fühlst du es?» Er nickte.
    «Das ist Leben», sagte Bruno, drückte ihm die Hand unter Trudes linke Brust. «Und das ist Tod. Da klopft nichts mehr. Es ist vorbei, verstehst du, vorbei, weg, aus, tot.»
    Ben schaute ihn nur an. Bruno überlegte, welchen Ausdrucker sonst noch benutzen könnte, um es ihm begreiflich zu machen. Da gab es wohl nur einen. «Rabenaas.»
    Zuerst schüttelte er heftig den Kopf. Eine Minute verging und noch eine. Mit konzentrierter Miene saß Ben da, die Hand fest auf die Brust seiner Mutter gepresst, bis sein Vater neben ihm aufschrie: «Um Gottes willen, gib sie her!»
    Da gestattete er endlich, dass der Notarzt für einen Moment ein Stethoskop auf Trudes Brust setzte und offiziell den Tod feststellte. Er duldete es anschließend auch, dass sein Vater Abschied nahm. Aber nicht lange. Nach wenigen Minuten nahm er Jakob den Leichnam wieder ab.
    Er war bei ihr bis zum allerletzten Moment. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Er kam fast um vor Angst, dass er zurück musste zu den weißen Leuten an den schlimmen Ort, wenn seine Mutter nicht mehr da war. Bruno hatte ihm erklärt, er habe nur dort sein müssen, weil seine Mutter nicht da gewesen und sein Vater zu dumm sei, nicht zur Strafe.
    Das hatte er gerne geglaubt. Aber Rabenaas, das glaubte er Bruno nicht. Sie blutete nicht, niemand hatte sie mit einem Messer gestochen. Was mit ihr geschehen war, verstand er nicht. Er begriff nur, dass man sie ihm wegnehmen wollte, das letzte Fein in seinem Leben, die Hand, die gefüttert, gestreichelt und beschützt hatte.
    Als der Bestattungsunternehmer mit dem Sarg kam, wurde es sehr kritisch.
    «Finger weg!» Ben heulte, winselte, seine Stimme kippte in der Not. Er schlug nach dem Mann mit fahrigen Bewegungen, als wolle er Insekten verscheuchen.
    «Ganz ruhig, Kumpel, ganz ruhig.» Bruno redete sich den Mund trocken, es half nichts. Jakob saß auf dem Fußboden und war nicht mehr ansprechbar.
    Der Bestattungsunternehmer kam schließlich auf den rettenden Einfall. «Auf dem Boden liegt deine Mutter doch nicht bequem», sagte er und zeigte auf den offenen Sarg. Bruno hatte ihn angewiesen, einen von den teuren Eichensärgen mitzubringen. Die Ausstattung war sehr edel. Alles war mit weißer Seide bezogen, so etwas hatte Ben noch nie gesehen.
    «Schau», sagte der Bestattungsunternehmer. «So schöne, weiche Kissen, da liegt deine Mutter viel besser.»
    Das überzeugte ihn.
    Als der Bestattungsunternehmer dann noch anbot: «Wenn du willst, darfst du sie hineinlegen», war der Anfang gemacht, aber der Kampf noch lange nicht zu Ende.
    Dass der Sarg geschlossen wurde, ließ er nicht zu. Und er fuhr mit nach Lohberg, wollte weder vorne noch hinten sitzen, kroch neben den Sarg auf die Ladefläche des Kombis und hielt ihre Hand. Bruno ließ Jakob notgedrungen auf dem Fußboden zurück und folgte dem Leichenwagen. Ein vergebliches

Weitere Kostenlose Bücher