Lukkas Erbe
seinen Erinnerungen versunken, bemerkte er die Katze erst, als sie unmittelbar neben der Leiche stand und ihn anfauchte. In seiner Wut,die sich in seiner eigenen Schuld begründete, packte er das Tier und brach ihm kurzerhand das Genick. Dann schleuderte er es gegen die Wand.
Danach ging er wieder, überquerte den Innenhof, wo ihm noch jeder Stein im Boden vertraut war, schritt vorsichtig durch das dunkle Atelier, bemüht, nirgendwo anzustoßen. Sorgfältig zog er die Außentüren zu, es waren Schiebetüren, dass sie nicht richtig geschlossen waren, konnte niemandem auffallen, der nicht versuchte, sie zu öffnen.
Beim zweiten Besuch kam er früher. Der Himmel draußen war klar, nach dem langen Weg durch die Dunkelheit erschien es ihm fast zu hell. Sogar im Atelier war Licht genug, um jeden Gegenstand zu erkennen. Zuerst schaute er sich die kleinen Holzplastiken an, an denen Vanessa Greven gearbeitet hatte.
Es waren vier Mädchenfiguren, jede nur sieben Zentimeter hoch, das Gesicht nicht größer als ein Daumennagel, immer dasselbe Gesicht. Marlene Jensen. Drei der Mädchenfiguren standen auf einem Werkzeugschrank, die steckte er ein, weil die Frau sie in der Hand gehalten hatte.
Die vierte Figur, an der Vanessa Greven gearbeitet hatte, war zerbrochen. Auch die nahm er mit, aber den kleinen Kopf und die winzigen Hände fand er nicht in der Dunkelheit.
Dann ging er zu der Frau, wickelte sie sorgfältig in die Decken und trug sie erst einmal in den Innenhof. Er war nicht Lukka, konnte einen Frauenkörper tragen, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen.
Er kehrte zurück und holte auch die Katze. Dabei stieß er gegen das Weinregal. Eine Flasche rutschte aus ihrer Halterung und zerbrach. Der Rotwein verteilte sich in einer großen Lache über dem grobporigen Betonboden,spritzte gegen die Wände und sah im schwachen Licht aus wie Blut.
Er stopfte den Kadaver der Katze in einen Müllsack. Dann stieg er hinauf ins Obergeschoss und suchte Vanessa Grevens Zimmer. Wenn Frauen gingen, packten sie einen Koffer. Und sie ging jetzt mit ihm an einen Ort, an dem sie ungestört waren. Wenig später vergrub er den Müllsack mit der Katze.
Neue Freundschaft
Als Ben im Mai 96 seine Mutter verlor, hatten sich Miriam Wagner und Nicole Rehbach schon angefreundet. An dem Morgen im April war Nicole im ersten Moment nur erleichtert gewesen, dass die Besitzerin des Jaguars nicht darauf bestand, die Polizei zu rufen.
Als sie am Nachmittag vom Dienst zurückkam, stand vor dem Bungalow ein weißer Jaguar. Bei dem Gedanken, das Haus von Heinz Lukka zu betreten, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Walter Hambloch hatte ein paar scheußliche Einzelheiten ausgebreitet. Nicole hatte jedes Mal Britta Lässler vor sich gesehen und den tobenden Ben, von dem ihre Schwiegermutter anschließend gesagt hatte: «Ach Gott, der arme Kerl, der tut doch keiner Fliege was. Ben ist nur froh, dass er lebt.»
Miriam Wagner öffnete schon nach dem ersten Klingeln, als hätte sie in der Diele bereits auf sie gewartet. Sie sah entschieden anders aus als am Morgen. Das aufwendige Make-up verdeckte die Narbe auf der rechten Wange fast völlig. Ein elegantes, weinrotes Kleid kaschierte die restlichen Mängel.
Miriam lächelte und bemerkte, dass sie sich am Morgennicht vorgestellt habe. Das holte sie nach und zeigte einladend in die Diele. «Nur keine Scheu», sagte sie, als Nicole zögerte. «Drinnen plaudert es sich gemütlicher. Es liegen garantiert keine Leichen mehr auf dem Teppich.» Sie führte Nicole in die Küche und bot ihr einen Kaffee an.
Nicoles Unbehagen verlor sich vorübergehend. Es war eine gutbürgerliche Einbauküche mit hellen Holzfronten, alles sauber und aufgeräumt. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein sadistischer Mörder gelebt und gewütet hatte.
Miriam registrierte die vorsichtigen Blicke und lächelte wieder, ein bisschen spöttisch diesmal. «Sämtliche Leichenteile habe ich weggeräumt. Es sieht doch ordentlicher aus, wenn nichts herumliegt. Vorerst muss ich mich selbst um den Haushalt kümmern. Es wird wohl auch noch eine Weile dauern, ehe ich eine Zugehfrau finde, die nicht streikt, wenn sie im Folterkeller wischen soll.»
Nicole schluckte einmal heftig und fand, es sei nicht das richtige Thema, um sich darüber lustig zu machen.
Miriam fuhr im gleichen lässigen Plauderton fort: «Lukka hatte keine Putzfrau, das hätte eigentlich mal jemandem auffallen müssen. Ein alter Rechtsanwalt, der nicht weiß, wohin mit
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