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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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hätte er sich wohl weitere Bemühungen erspart. Sie war sicher, dass er sich nur für die Polizeiuniform entschieden hatte, weil er sich einbildete, darin wie ein Mann auszusehen. Er hatte zwar eine sportliche Figur, aber er war ein Milchgesicht. Rote Bäckchen, treue blaue Augen, schütteres Haar mit einem Stich ins Rote. Und seine Lippen, zu weich für einen Mann, zu rot und ständig feucht. Er fuhr unentwegt mit der Zunge darüber. Es ekelte sie schon, ihm dabei zuzuschauen.
    Miriam war erleichtert, als sie endlich aufbrachen. Nicole bemerkte ihr heimliches Aufatmen und sagte mit gedämpfter Stimme: «Er redet erst so viel, seit das passiert ist.»
    «Schon gut, Herzchen», sagte sie und freute sich schon auf die nächste halbe Stunde allein mit Nicole.
    Leider hatte Nicole nie mehr Zeit als diese halbe Stunde am Nachmittag, und die auch nur, wenn sie Frühschicht hatte. Dann tranken sie einen Kaffee, Nicole aß ein wenig Gebäck, Miriam rauchte drei Zigaretten. Manchmal tadelte Nicole: «Du rauchst zu viel.» Einmal fragte sie: «Wann kaufst du dir endlich einen neuen Teppich?» Und immer klang sie wie ihre Mutter.
     
    An das Blut konnte Nicole sich nicht gewöhnen. Aber ihre anfängliche Skepsis gegenüber Miriam war rasch verschwunden. Das hatte nicht so viel mit den fünftausend Mark zu tun, auch wenn Nicole sich von derartigen Geschenken in die Pflicht genommen fühlte. Doch schwerer als das Geld wogen die Sätze, die Miriam von sich gegeben hatte. Warum bohrt sich ein Fakir Nägel ins Fleisch? Und Achim Lässler hatte sie nicht verborgen, wie tief verletzt auch sie war.
    Nicole hätte gerne mehr über diesen Schmerz erfahren,nicht aus Neugier. Sich mit Miriams Nöten zu beschäftigen, lenkte sie ab von den eigenen Problemen. Auch sie bedauerte jedes Mal, dass sie schon nach einer halben Stunde sagen musste: «Hartmut wartet. Er bekommt Zustände, wenn ich später komme. Früher war er nicht so eifersüchtig. Er hat zu viel Zeit, um nachzudenken.»
    So war es keine Großzügigkeit, Hartmut Rehbach etwas mobiler zu machen und Nicole damit ein wenig Freiraum zu verschaffen. Nicole hatte schon mehrfach davon gesprochen, dass sie einen Wagen mit Automatikschaltung bräuchten. Damit sei es Hartmut vielleicht wieder möglich, selbst zu fahren.
    Mitte Juni händigte Miriam Nicole den Schlüssel von Lukkas Mercedes aus. «Lass deinen Mann einmal Probe fahren. Wenn er mit dem Wagen zurechtkommt, mir steht er nur im Weg. Verkaufen kann ich ihn nicht, wer will schon das Auto eines Mörders fahren?»
    Hartmut Rehbach wollte. Er fuhr zehn Meter den Feldweg entlang und hatte Tränen in den Augen, als Miriam ihm auch noch den Ersatzschlüssel und den Kfz-Schein überließ, nicht den Fahrzeugbrief, den behielt sie. So gesehen war es kein Geschenk, nur eine Leihgabe. Aber das störte Hartmut Rehbach nicht. «Du kannst dir nicht vorstellen, was das für mich bedeutet, Miriam.»
    «Doch», sagte sie und legte eine Hand an ihr verkrüppeltes Bein. «Ich kämpfe ja mit dem gleichen Problem.»
    «Wenn ich noch so laufen könnte wie du, wäre ich zufrieden», sagte er. «Jetzt kann ich vielleicht bald wieder fahren. Wie können wir das gutmachen?»
    «Schenk mir ein bisschen Zeit deiner Frau», sagte sie. «Ich verspreche dir, keinen Mann in ihre Nähe zu lassen, bestimmt nicht Achim Lässler.»
    Hartmut Rehbach lachte verlegen. «Wenn’s weiter nichts ist.» Für Miriam war es eine Menge. Sie fühlte,dass sie lebte, wenn Nicole in ihrer Nähe war. Und Heinz Lukka war tot. Sie gewann Abstand, spürte es deutlich, und es tat so gut.
    Ende Juni 96 nahm Nicole zwei Wochen Urlaub. Verreisen wollten sie nicht. Die fünftausend Mark waren auf ein Sparbuch eingezahlt worden. Hartmut hatte sich entschlossen, den alten Opel nicht reparieren zu lassen, es war ja nur der Kotflügel beschädigt. Zum ersten Mal gab es wieder einen Notgroschen. Den verprasste man nicht, um einen Mann im Rollstuhl einen Strand entlang oder einen Berg hinaufzuschieben.
    Hartmut Rehbach zeigte sich großzügig, was die Zeit seiner Frau betraf. Nicole durfte die Nachmittage mit Miriam verbringen. Meist waren sie in Lohberg unterwegs, weil Nicole sich nicht gerne für längere Zeit im Bungalow aufhielt.
    Einmal gingen sie ins Kino, in die Nachmittagsvorstellung.
    «Weißt du, wann ich zuletzt im Kino war, Herzchen? Da war ich fünfzehn. Wir waren zu viert, das weiß ich noch. Ich wollte nicht hingehen, die anderen haben mich überredet, weil ich als Einzige zahlen

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