Lukkas Erbe
nur das aus, was dir wirklich gefällt.»
Dann verschwand auch endlich der blutige Teppich und wurde durch einen hellen Berber ersetzt. Nicoles Urlaub war längst zu Ende. Aber da Hartmut jetzt mehr auf den Mercedes als auf seine Frau fixiert war, verbrachte sie immer noch viel Zeit mit Miriam, wenn sie Frühschicht hatte.
Und Miriam reichten die Nachmittage jede zweite Woche nicht mehr. Sie versuchte zielstrebig, Nicole mit einem besonderen Köder ganz für sich zu gewinnen. Zweihundert Mark mehr für drei Stunden Arbeit im Haushalt, der Rest wäre Vergnügen – und irgendwann ein Kind. Solange Nicole im Seniorenheim beschäftigt war, musste das Utopie bleiben, wer sollte sich um das Baby kümmern? Bei ihr dagegen könnte sie es mitbringen.
Sie hatte noch nie mit kleinen Kindern zu tun gehabt, wusste nicht, ob Geschrei sie stören würde, wäre vielleicht eifersüchtig zu Anfang. Aber bestimmt nicht lange. Sie wurde erwachsen, hatte Heinz Lukka hinter sich gelassen, zumindest glaubte sie das.
Im Dorf registrierte man Miriam Wagner kaum. Manchmal begegnete man ihrem Wagen zufällig auf der Landstraße. Sie galt als eigenbrötlerisch, eine junge Frau, die ein zurückgezogenes Leben in einem einsam gelegenen Haus führte. Manchen schüttelte es noch gelegentlichbeim Gedanken an den Vorbesitzer. Aber der Schock war abgeklungen, das Grauen einigermaßen verarbeitet.
Auf dem Lässler-Hof sah das noch anders aus. Achim Lässler war immer noch Nacht für Nacht unterwegs, wusste nicht mehr, was er fühlte, Wut, Verzweiflung, Einsamkeit, Sehnsucht, Hass auf alle, die noch lachen konnten wie Nicole und Miriam. Sie sahen ihn nicht, wenn er gut verborgen im Mais lag und sie beobachtete. Und wenn er sie lachen hörte, war es wie ein Messer in seinem Innern. Es war nie leicht gewesen für ihn, den Zweitgeborenen. Sein Bruder durfte studieren, von ihm wurde erwartet, dass er den Hof übernähme.
Im Gegensatz zu Achim Lässler fühlte sich Ben in seinem neuen Leben wohl, soweit Bruno Kleu das beurteilen konnte. Mit der Arbeit klappte es zwar nicht so, wie Bruno sich das vorgestellt hatte. Im Stall hatte man nicht Augen genug. Er wollte wohl gerne helfen, aber das ging immer daneben. Bruno ließ die Kühe raus, er den Zuchtbullen. Ihn auf einen Traktor zu bringen, war unmöglich, abgesehen davon konnte er draußen noch weniger tun als im Stall.
Trotzdem nahm Bruno ihn gelegentlich mit hinaus, wenn auf einem Acker etwas zu tun war, fuhr dann eben im Auto mit ihm und ließ ihn beim Bruch oder beim Bendchen laufen, weil er nachts nicht mehr rauskam. Der Schlüssel wurde jetzt immer abgezogen. Aber ein bisschen Freiheit brauchte er, fand Bruno.
Passieren konnte nicht viel, wenn Ben tagsüber mal allein unterwegs war. Er hatte immer das Handy dabei, konnte im Notfall Hilfe rufen, falls Achim Lässler ihm über den Weg lief. Aber Hilfe brauchte er nicht. Achim ließ sich in seiner Nähe nicht mehr blicken, nachdem er einmal zu Boden geschickt worden war.
Wenn Bruno den Heimweg antreten wollte, rief er Benan. Was er tun musste, wenn sein Handy klingelte, hatte Patrizia ihm beigebracht. Er meldete sich nicht, kam aber sofort, wenn Bruno ihn dazu aufforderte. Meist war auch Patrizia in seiner Nähe. Wenn Bruno ihn mit hinausnahm, kam sie am Nachmittag dazu.
Dann streiften sie gemeinsam durchs Bendchen, suchten dort nach abgebrochenen Ästen, aus denen er bizarre Figuren schuf. Bruno wusste längst, dass Ben stets ein Messer bei sich hatte. Er duldete es, hatte auch Renate dazu gebracht, sich nicht aufzuregen, wenn sie Ben einmal mit dem alten Springmesser in der Hand erwischen sollte. Irgendwas brauchte er schließlich, um sich abends zu beschäftigen, und er schnippelte doch bloß an Holzstückchen herum.
Patrizia durchkämmte auch noch einmal den Bruch mit ihm. Bei Tageslicht war in der Senke noch das eine oder andere Teil aus dem alten Suppentopf zu finden. Offenbar war der Kessel beim Eingang zum Gewölbekeller ausgekippt worden. Nur wenige Teile waren ins Gewölbe gefallen, die anderen weit im Gelände verstreut. Meist handelte es sich um kleine Figürchen.
Wenn sie fündig geworden waren, führte Patrizia ihn am Abend mit leuchtenden Augen zu Renate Kleu in die Küche. «Gucken Sie mal, Frau Kleu, so klitzekleine Männeken. Die hat er gemacht. Nicht wahr, Ben?»
Er zog die Karte mit seinem Namen aus der Hosentasche, und Patrizia freute sich. «Das hat er sich doch schnell gemerkt, oder? Ich glaube, wenn man ihm das richtig
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