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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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erklärt, kann er noch viel lernen.»
    Patrizia war immer darum bemüht, bei Renate schön Wetter für ihn zu machen. Von der stillen Übereinkunft, das Messer zu übersehen, wusste sie nichts. Und Ben war ja viel mehr mit Renate zusammen als mit Bruno. Renate beschäftigte ihn mit kleinen Handreichungen im Haushalt.Kartoffeln aus dem Keller holen, Müll nach draußen bringen und mal einen schweren Korb mit feuchter Wäsche für sie ins Freie tragen. Er ging ihr gerne zur Hand, deckte den Tisch, das hatte er oft genug gesehen. Er räumte ihn auch wieder ab und lernte sogar, das Geschirr in die Spülmaschine zu sortieren mit einer peniblen Sorgfalt, die Renate erstaunte. Dass er eine Stunde beschäftigt war damit, dreimal alles wieder aufräumte, war zweitrangig. Er hatte etwas zu tun, und das war die Hauptsache, fand Renate.
    Der ständige Umgang mit ihm hatte ihr die Unsicherheit genommen. Man musste ein bisschen vorsichtig sein mit dem, was man sagte, wenn er in der Nähe war. Auf Bruno zu fluchen, war nicht ratsam, da bekam er diesen wachen, unwilligen Ausdruck in die Augen. Allerdings drohte er nicht mehr: «Finger weg.»
    Renate war längst zu der Überzeugung gelangt, dass sich seine Äußerung am ersten Abend auf das Fernsehprogramm und nicht auf das Telefongespräch mit ihrem Freund bezogen hatte. Gegen Fernsehen hatte er etwas.
    Wenn sie zu Hause blieb und den Fernseher einschaltete, ging Ben sofort hinaus. Wenn Heiko ihn beaufsichtigte, nahm er ihn meist mit in sein Zimmer. Es stand noch etwas Spielzeug aus Kindertagen herum, darunter auch ein großes Feuerwehrauto. Ein Leiterwagen mit Besatzung, winzige Plastikfiguren mit Helmen auf den Köpfen. Ben war davon so fasziniert, dass Heiko ihm das Auto schenkte. Danach wollte Ben es immer mit zum Friedhof nehmen.
    Die wöchentlichen Besuche am Grab seiner Mutter übernahm Patrizia. Sie hatte mehr Zeit als Renate. Eine gute Stunde gönnte sie Ben immer. Und viele von denen, die einmal beobachtet hatten, wie er da an Trudes Grabstand, die kleinen Plastikmännchen aus dem Feuerwehrauto pflückte und zwischen den Stiefmütterchen verteilte, bedauerten ihn. Jeder, der seine Miene sah, wenn Patrizia dann wieder mit ihm zurückging, die Sehnsucht in seinen Augen, die unzähligen Blicke über die Schulter zurück auf das Grab, jeder hatte Mitleid.
    Dass er ausgerechnet bei Bruno Kleu leben musste. Umgetopft und irgendwo abgestellt wie ein Kaktus, den eigentlich niemand wollte. An einen Ort verpflanzt, an dem es drunter und drüber ging. Von seinen Monaten in der Anstalt hatten die meisten nur eine vage und nicht sehr angenehme Vorstellung. Aber bei Trude hatte er es doch nur ruhig und beschaulich gehabt. Einsame Streifzüge durchs Feld, hin und wieder eine Stunde mit seiner jüngsten Schwester und Britta Lässler. Und beide Mädchen zusammen waren nicht halb so mitteilungsbedürftig und eifrig gewesen wie Patrizia.

Ein Kuss mit schlimmen Folgen
    Es war zum einen Teil Patrizias Eifer, der dazu führte, dass sein ohnehin eingeschränktes Leben bei Bruno Kleu während der Sommermonate 96 noch mehr Einschränkungen erfuhr, bis so gut wie keine Freiheit mehr übrig war.
    Patrizia hatte in der Schule einiges gelernt über positive Verstärker und herausgefunden, dass Ben gerne englisches Weingummi aß. Das war besser geeignet als Vanilleeis, wenn man sich draußen aufhielt. Und bis zum Herbst wollte Patrizia schaffen, woran sein Vater und Bruno bereits gescheitert waren, ihm das Traktorfahren beizubringen.
    In der Scheune stand ein dreißig Jahre alter Traktor, den Bruno schon lange nicht mehr benutzte, von dem er auch annahm, dass er nicht mehr funktionierte. Die Vorderreifen fehlten, aber es war wohl noch etwas Treibstoff im Tank. Niemand wusste genau, wann das Altertümchen zuletzt gestartet worden war. Es wurde nicht mit einem Schlüssel angelassen, hatte noch einen Startknopf. Optimale Bedingungen für Patrizia, sie musste nicht lange fragen, ob sie den Schlüssel haben durfte.
    Mit einer Hand voll Weingummi brachte sie Ben schon nach wenigen Tagen auf den Beifahrersitz und triumphierte abends: «Ich wusste, dass es funktioniert. Das ist das Prinzip Leistung-Belohnung, das funktioniert fast immer.»
    Der zweite Schritt war nun, Ben hinter den Lenker zu bringen. Auch dieses Ziel erreichte Patrizia erstaunlich schnell. Und es waren nicht die positiven Verstärker, nur das Bedürfnis nach Zärtlichkeit. Mit einer Hand voll Weingummi lockte Patrizia ihn wie schon mehrfach

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