Lukkas Erbe
Atelier wieder und wusste nicht, was er von der Sache halten sollte. Es war schon merkwürdig. Eine Nachlässigkeit wie die unverriegelten Außentüren sah Vanessa eigentlich nicht ähnlich. Und Wein trank sie nicht, wenn sie allein war, das wusste er genau. Aber wenn sie im Keller nach ihrer Katze gesucht hatte und dabei gegen das Regal gestoßen war … Nur hätte sie die Scherben weggeräumt.
Er ging in Vanessas Zimmer. Ihr Schrank war noch zur Hälfte gefüllt. Unter den Sachen, die auf den Bügeln hingen und in den Fächern lagen, waren einige, von denen er wusste, dass sie mit Leib und Seele daran hing. Den Morgenmantel aus Seide liebte sie geradezu, weil er im Rücken mit dem Gesicht ihrer Katze bestickt war. Oft lief sie stundenlangin dem Mantel herum. Den hätte sie niemals hängen lassen, auch nicht für einen Besuch bei einer Freundin.
Im Bad standen eine Batterie von Nagellackfläschchen, ihre elektrische Zahnbürste, auch die Ohrstöpsel lagen da, die sie nachts einsteckte, weil sie sich vom Verkehr auf der Bachstraße gestört fühlte. Dabei fuhr nachts nur selten ein Auto vorbei. Aber sie war sehr lärmempfindlich, hielt sich deshalb auch am liebsten im Atelier auf.
In Vanessas Bekanntenkreis nach ihrem Verbleib zu forschen, war ihm nicht möglich. Er kannte nur die Vornamen von zwei Frauen, mit denen sie manchmal telefonierte. Allzu viel wusste er wirklich nicht über sie, das wurde ihm jetzt erst richtig bewusst. Sie war aus dem Nichts in seinem Leben aufgetaucht, hatte einmal von Indien erzählt und einmal von Ägypten. Aber er hätte nicht sagen können, ob sie tatsächlich dort gewesen war oder nur geträumt hatte, einmal hinzukommen.
Als das Essen geliefert wurde, war er immer noch unschlüssig, ob er die Polizei verständigen musste. Es gab nicht wirklich einen triftigen Grund, nur den seidenen Morgenmantel. Und die Reaktion der Beamten konnte Leonard Darscheid sich lebhaft vorstellen. Eine fünfunddreißigjährige Frau und ein etwas mehr als doppelt so alter Mann. Da sah er die Mienen der Polizisten förmlich vor sich. Zum Gespött machen wollte er sich nicht. Also unternahm er vorerst nichts, wartete ab, ob Vanessa Greven sich in den nächsten Tagen meldete. Sie wusste ja, ab wann er wieder zu Hause war.
Bis zum 10. September hatte er noch nichts von ihr gehört. An dem Mittwochnachmittag erschien Miriam Wagner in seinem Atelier. Sie wollte ein Bild für ihr Wohnzimmer kaufen, konnte sich aber nicht entscheiden. Als Darscheid ihr erzählte, dass er Vanessa seit fünf Tagenvermisse, konnte Miriam ihm auch nicht sagen, wo sich seine Lebensgefährtin aufhielt.
Sie empfahl, die Wache in Lohberg zu verständigen. Auslachen, meinte sie, werde man ihn vermutlich nicht. Mit der Erinnerung an den Sommer 95 müsse einem Polizisten das Lachen im Hals stecken bleiben, wenn er höre, dass wieder eine junge Frau verschwunden war.
«Wenn doch jemand lacht», sagte Miriam Wagner, «schicken Sie ihn zu mir. Ich bin sicher, dass vor zwei Jahren nicht Lukka allein aktiv war. Es ist zwar nicht üblich, dass Serienmörder einen Komplizen haben. Doch in dem Fall gab es einen zweiten Mann.»
Zu diesem Zeitpunkt fühlte Vanessa Grevens Mörder sich wieder völlig sicher. Das durfte er auch. Rita Meier hatte ihn nicht wieder gesehen und nichts unternommen. Auch Miriam beließ es bei ihrer Empfehlung, die Polizei zu informieren. Eine Andeutung, wer der zweite Mann gewesen sein könnte, machte sie nicht. Das wusste sie zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht mit letzter Sicherheit. Sie hatte einen Verdacht, nur leider noch keine schlüssigen Beweise.
Friedenszeit
In den Sommermonaten 96 hatte Miriam Wagner kaum noch einen Gedanken an Lukka verschwendet. Sie hatte in Nicole eine Ablenkung gefunden und einen Ersatz für ihre Mutter. Lukkas Wunsch, nichts im Bungalow zu verändern, kümmerte sie nicht länger. Nicole fühlte sich nicht wohl in dieser Umgebung, das zählte.
Miriam begann mit Kleinigkeiten. Im Bad standen plötzlich Cremetöpfchen und Parfümflakons offen herum.Außerdem stellte sie dort eine winzige Stereoanlage mit einem C D-Player auf und schaffte Handtücher in Pastellfarben an. Alles, was sich mit wenig Aufwand ersetzen ließ, wurde nach und nach ersetzt. Porzellan, Gläser, das Besteck und die Töpfe in der Küche.
Die meisten Einkäufe machten sie gemeinsam. Sie orientierte sich sogar an Nicoles Geschmack, sagte oft nur: «Nicht so bescheiden, Herzchen. Schau nicht auf die Preise, such
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