Lukkas Erbe
machte, war es schon dunkel. Miriam bot an, sie rasch zu fahren. Aber für den Kilometer lohne das nicht, meinte Nicole. Sie hatte eine Taschenlampe dabei, auch Walters Sprühdose mit Tränengas, obwohl sie die für völlig überflüssig hielt. Sie erreichte den Anbau unbehelligt.
Am Dienstag- und Mittwochabend geschah ebenfalls nichts von Bedeutung. Jedes Mal kam sie abends in eine leere Wohnung. Hartmut nutzte die freie Verfügung über das Auto, fuhr am Vormittag zum Computerladen undfand den Heimweg erst, wenn Winfried von Burg ihn vor die Tür setzte.
Am Donnerstag kurvte ab Mittag ein Traktor über das große Feld. Zu sehen war nichts, die Zypressen versperrten den Blick. Aber das Motorengeräusch war gut zu hören. Zweimal verklang es, als der Traktor zum Lässler-Hof fuhr. Nach einer halben Stunde kam er jedes Mal zurück.
Miriam wurde ein wenig nervös. «Was treibt der da?»
Was Achim Lässler trieb, offenbarte sich, als Nicole am frühen Nachmittag die Terrassentüren öffnete, um einmal gründlich durchzulüften. Ein penetranter Gestank zog ins Wohnzimmer. Achim Lässler düngte. Ob das um die Jahreszeit noch sein musste, wusste Nicole nicht. Miriam hielt es für reine Schikane. Und es fand kein Ende. Mit Einbruch der Dunkelheit waren die Scheinwerfer des Traktors trotz der Zypressen als huschender Lichtschein wahrzunehmen. «Der will wohl überhaupt nicht mehr aufhören mit dieser Sauerei», schimpfte Miriam ungehalten.
Achim Lässler hörte auf, als Nicole den Bungalow verließ. Er steuerte den Traktor samt Gülleanhänger mitten auf den Weg. Nicole kam nicht weiter. Er stieg ab und kam auf sie zu.
«Jetzt fang doch nicht wieder an mit dem Quatsch», sagte sie.
«Geht’s dir gut?», fragte er.
«Ja», sagte Nicole.
«Ist das Blut noch da?»
«Nein.»
«Hast du es weggemacht?»
«Nein. Es war auch nicht von deiner Schwester, wirklich nicht. Es war von Tanja Schlösser.»
Achim Lässler nickte versonnen und schaute über siehinweg zum Bungalow. «Ich hab euch gehört – im Sommer, als sie Ben reingeholt hat. Lass die Finger von ihm. Er ist kein Mann für dich. Er ist überhaupt kein Mann.»
«Das weiß ich», sagte Nicole.
Er nickte wieder. «Aber du brauchst einen. Ich hätte gerne mal mit dir getanzt auf dem Schützenfest damals, hab mich nicht getraut zu fragen.»
«Das wusste ich nicht», sagte Nicole.
Achim Lässler nickte zum dritten Mal. «Dachte ich mir. Hättest du nein gesagt?»
«Ja», sagte Nicole.
Er nickte zum vierten Mal. «Und wenn ich dich jetzt frage?»
«Ohne Musik tanze ich nie», sagte Nicole. «Ich glaube auch kaum, dass mein Mann damit einverstanden wäre.»
«Dein Mann ist doch auch keiner mehr», antwortete Achim Lässler. «Also nenn ihn nicht so. Bruno sagte, wenn man was will, muss man dafür kämpfen. Ich will dich. Und wenn’s nicht anders geht, räume ich deinen Mann aus dem Weg. Er hat’s nicht besser verdient.» Er zeigte mit ausgestrecktem Arm zum Bungalow. «Und sie auch nicht. Mit ihr fange ich an. Ich zeig ihr, wie das ist, wenn man in so einer Bude festsitzt und genau weiß, dass man nicht mehr lebend rauskommt.»
«Red doch keinen Unsinn», sagte Nicole.
Er schüttelte den Kopf. «Ist kein Unsinn. Ich muss das tun. So geht’s nicht weiter.»
Das Bedürfnis, ihn in die Arme zu nehmen, hatte Nicole in dem Moment nicht. Der Güllegestank nahm ihr den Atem. Sie drehte um und lief zurück zum Bungalow.
Miriam war nicht halb so beunruhigt, wie Nicole erwartet hatte. «Lässler redet nur, mach dir um ihn keine Sorgen. Wenn er handeln wollte, hätte er das längst getan.Glaub mir, ich weiß, wie Menschen in Ausnahmesituationen reagieren.»
Nicole glaubte nicht, dass Miriam es wusste. Die Situation hatte sich geändert – für sie, für Hartmut, sogar für Miriam. Nur für Achim Lässler nicht.
Als die Scheinwerfer des Mercedes auftauchten, rannte sie winkend auf die Kreuzung. Der Traktor stand immer noch auf dem Weg. Von Achim Lässler war in der Dunkelheit nichts zu sehen.
Im Gegensatz zu Miriam war Hartmut sehr schockiert von der Drohung. Er wendete auf der Kreuzung, dann nahmen sie den Umweg über die Bachstraße und die östliche Kreuzung, um die Garage anzusteuern. Kaum in der Wohnung, rief Hartmut sofort Andreas an. Andreas legte ihm dringend nahe, mit Walter zu sprechen.
«Tut mir Leid, das sagen zu müssen», gestand Andreas. «Aber ich habe keinen Einfluss auf meinen Bruder. Und ich würde es auch nicht auf die leichte Schulter
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