Lukkas Erbe
Jensen gewünschte oder nachdrücklich geforderte Heimeinweisung zu verhindern.
Nichts deutete an diesem Abend darauf hin, dass die Uhr ablief. Es war ein Abend, wie Nicole schon etliche erlebt hatte. Die Unterhaltung war oberflächlich heiter. Niemand sprach von Vanessa Greven oder Dorit Prang. Trotzdem konnte Nicole den Abend nicht genießen und hoffte, dass ihre Gäste nicht allzu lange blieben. Der Zigarettenqualm störte sie, außerdem musste sie immer wieder an das Gespräch mit mir am nächsten Morgen denken.
Kurz nach elf Uhr öffnete Nicole die Terrassentür, um einmal durchzulüften. Sie meinte, im Garten Geräusche zu hören. Es klang, als werfe jemand Steinchen auf den Betonpfad oder zertrete sie beim schnellen Rückzug. Aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Andreas bemerkte, dass Nicole angestrengt ins Freie schaute. Sowohl Walter als auch Sabine fiel auf, dass sie nervös war, als sie sich wieder hinsetzte.
Ein paar Minuten später meckerte Bärbel: «Jetzt mach doch mal einer die Tür zu, das wird doch viel zu kalt hier.»
Andreas schloss die Tür und warf bei der Gelegenheit einen langen Blick in den Garten. Er sah und hörte nichts.
Kurz darauf verabschiedeten sich Patrizia und Dieter. Sie mussten sich früh am nächsten Morgen ums Vieh kümmern und verließen den Anbau durch die Verbindungstür, die vom Wohnzimmer in den Flur des Hauses führte. Sie waren auch über die Bachstraße gekommen, hatten dort ihr Auto abgestellt.
Etwa zehn Minuten später brachen Andreas und Sabine auf. Nicole begleitete beide mit einer Taschenlampe durch den Garten. Andreas hatte seinen Wagen auf dem unbeleuchteten Feldweg abgestellt. Nachdem sie abgefahren waren, lief Nicole rasch zurück. Es war kalt, die Luft sehr feucht, sie hatte ihren Mantel nicht angezogen.
Sie musste rund fünfzig Meter zurücklegen. Das Grundstück ihrer Schwiegereltern war sehr groß wie alle Grundstücke an der Bachstraße. Auf halber Strecke hörte sie etwas hinter sich. Sie drehte sich um und ließ den Kegel der Taschenlampe wandern. Das sahen die Gäste im Wohnzimmer noch. Bis zur Garage reichte das Licht allerdings nicht.
Walter Hambloch kam zur offenen Terrassentür und rief: «Stimmt etwas nicht, Nicole?»
Sie antwortete nicht, kam nur im Laufschritt näher. Als sie das Wohnzimmer betrat, fragte Bärbel: «Treibt mein Bruder sich draußen herum, warum kommt er denn nicht rein?»
«Ich habe niemanden gesehen», erwiderte Nicole.
«Werden wir aber gleich», meinte Bärbel, erhob sich mit einem vernehmlichen Seufzer, ging zur Terrassentür und rief in den Garten: «Na komm, du Streuner. Hier drinnen ist es gemütlicher, und hier gibt es noch was Feines zu essen, leckeren Salat und kalten Braten. Eine Cola für dich haben wir auch.»
Nichts rührte sich. Bärbel wartete einige Sekunden, schloss die Tür und nahm wieder auf der Couch Platz mit dem Hinweis: «Ben ist mit Sicherheit nicht da. Für eine Cola leistet er Satan persönlich Gesellschaft.»
«Satan vielleicht», bemerkte Walter Hambloch ironisch.
Bärbel und Uwe von Burg brachen erst kurz vor Mitternacht auf. Walter machte keine Anstalten, sich anzuschließen. Er war immer der Letzte. «Komm, Waldi», forderte Bärbel ihn auf. «Gehen wir, es schickt sich nicht zu bleiben, bis die Hausfrau im Sessel einschläft.»
Walter riet Nicole, den Schlüssel nicht in der Tür stecken zu lassen. Es war eine Glastür. «Wenn du den Schlüssel abziehst, muss man die ganze Tür zertrümmern, um reinzukommen. Das macht Lärm, das überlegt sich jeder dreimal, der einigermaßen bei Verstand ist.»
Nicole hielt seine Warnung für sehr übertrieben, nahm an, er mache sich wohl doch Sorgen wegen der beiden Frauen, auch wenn er nichts unternommen hatte, vielleicht wirklich nichts unternehmen konnte.
Walter verabschiedete sich von Hartmut, wünschte ihm eine gute, vor allem schmerzfreie Nacht. Nicole holte rasch ihren Trenchcoat. Er hing an einem Haken hinterder Verbindungstür im Hausflur. Zu viert verließen sie den Anbau. Wieder ging sie mit einer Taschenlampe voraus. Auch Uwe von Burg hatte seinen Wagen auf dem Feldweg abgestellt. Walter Hambloch war zu Fuß gekommen.
Uwe erkundigte sich, ob sie ihn mitnehmen sollten. Das Anwesen der von Burgs lag nahe dem Lerchenweg. «Ich lauf lieber», antwortete Walter, wie nicht anders zu erwarten. «Dann bin ich richtig müde, wenn ich ankomme. Da macht das Ausschlafen mehr Spaß. Morgen habe ich frei.»
Bärbel und Uwe stiegen ein und
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