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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Augen.
    Die Leute haben das auf Video. Sie haben Schnappschüsse ins Internet gestellt.
    Ob Katze, Stachelschwein oder Kojote, der Highway-Samariter wiegt den Kopf des Tiers in den Armen und flüstert ihm zu.
    Und Reh, Hund oder Waschbär, vor zwei Minuten noch ein blutiger Haufen Fell und Knochen, eine Mahlzeit für Elstern und Krähen, springen vollständig wiederhergestellt davon.
    Ein Stück von uns entfernt, von Sarge und mir, lenkt ein alter Mann seinen Pick-up auf den Seitenstreifen. Er steigt aus und hebt eine karierte Decke von der Ladefläche. Er kauert sich hin und legt die Decke auf den Boden; hinter ihm donnert der Verkehr in der heißen Morgenluft vorbei.
    Der alte Mann schlägt die Decke auseinander, darin liegt ein toter Hund. Ein schrumpliger Haufen braunes Fell, nicht viel anders als mein Pelzmantel.
    Sarge klickt das Magazin seiner Pistole heraus, es ist voll geladen. Er lässt es wieder einschnappen.
    Der alte Mann bückt sich, stützt sich mit beiden Händen auf den heißen Asphalt, Autos und Lastwagen rasen in beiden Richtungen an ihm vorüber, und dann reibt er seine Wange an dem braunen Fellhaufen.
    Er steht auf und blickt den Highway entlang. Er steigt in seinen Pick-up und zündet sich eine Zigarette an. Er wartet.
    Sarge und ich, wir warten auch.
    Hier wären wir also, eine Woche zu spät. Immer einen Schritt zurück. Immer erst hinterher.
    Das erste Mal wurde der Highway-Samariter von Straßenarbeitern gesichtet, die ein paar Meilen von hier einen toten Hund auflasen. Ehe sie ihn eintüten konnten, hielt hinter ihnen auf dem Seitenstreifen ein Mietwagen an. Darin saßen ein Mann und eine Frau, der Mann am Steuer. Die Frau blieb im Auto, der Mann sprang heraus und lief zu den Straßenarbeitern hinüber. Er rief, sie sollten warten. Er sagte, er könne helfen.
    Der Hund bestand bloß aus Maden und Knochen in einem Fetzen Fell.
    Der Mann war jung und blond, sein langes blondes Haar flatterte im Fahrtwind der vorbeirasenden Autos. Er hatte einen roten Ziegenbart und zwei Narben auf den Wangen, unmittelbar unter den Augen. Die Narben waren dunkelrot, und der junge Mann griff in den Müllsack mit dem toten Hund und sagte den Straßenarbeitern – der sei nicht tot.
    Und die Arbeiter lachten. Sie warfen die Schaufel auf ihren Lastwagen.
    Und etwas in dem Müllsack winselte.
    Es bellte.
    Jetzt, hier und jetzt, während ich dies schreibe, wartet der alte Mann nicht weit von uns und raucht. Der Verkehr donnert vorbei. Auf der anderen Seite der Interstate 84 ist eine Familie aus ihrem Kombi gestiegen und breitet auf dem Kies neben dem Seitenstreifen eine Steppdecke aus, darin liegt eine tote rote Katze. Etwas von ihnen entfernt sitzen eine Frau und ein Kind in Liegestühlen neben einem Hamster, der auf einem Papierhandtuch liegt.
    Etwas von ihnen entfernt steht ein älteres Paar; die beiden halten einen Schirm über eine junge Frau, die knochendürr und seitlich verdreht in einem Rollstuhl hängt.
    Der alte Mann, die Mutter und das Kind, die Familie und das ältere Paar, sie alle starren jedes Auto an, das an ihnen vorüber rast.
    Der Highway-Samariter erscheint jedes Mal in einem anderen Auto, das kann ein Zweitürer, ein Viertürer oder ein Pick-up sein, manchmal auch ein Motorrad. Einmal war’s in einem Wohnwagen.
    Auf den Fotos, die die Leute machen, auf den Videos, immer sieht man das flatternde blonde Haar, den roten Ziegenbart, die Narben. Es ist immer derselbe Mann. Und immer wartet ein wenig entfernt der Umriss einer Frau in einem Auto, Lastwagen oder was auch immer.
    Während ich dies schreibe, visiert Sarge über den Lauf seiner Pistole unseren Pelzmantel an. Ketchup und Fliegen. Unser Köder. Und wie alle anderen hier warten wir auf ein Wunder. Auf einen Messias.

19
     
    Überall außerhalb des Autos war es gelb. Gelb bis zum Horizont. Nicht zitronengelb, eher tennisballgelb. Wie der Ball auf einem leuchtend grünen Tennisplatz aussieht. Die Welt zu beiden Seiten des Highways, alles hatte diese eine Farbe.
    Gelb.
    Schäumende Wogen aus Gelb flattern im heißen Fahrtwind der Autos, die uns entgegenkommen, breiten sich vom Kiesrand des Highways bis zu den gelben Hügeln. Gelb. Schleudern gelbes Licht in unser Auto. Helen, Mona, Oyster, ich, wir alle. Unsere Haut, unsere Augen. Details zur ganzen Welt: Gelb.
    »Brassica tournefortii «, sagt Oyster. »Marokkanischer Senf in voller Blüte.«
    Wir befinden uns im Ledergeruch von Helens großem Maklerwagen, und sie fährt selbst. Helen und

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