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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Plan bekommt man nur das Beste, das man sich vorstellen kann. Ich hatte mir immer etwas noch Besseres erhofft.
    Aus dem Radio schmettern Waldhörner, dann rattert ein Fernschreiber, und eine Männerstimme sagt, die Polizei habe ein weiteres Fotomodell tot aufgefunden. Das Fernsehen zeigt ein lächelndes Porträt der Frau. Wieder hat man einen verdächtigen Liebhaber verhaftet. Wieder hat die Obduktion Hinweise auf Geschlechtsverkehr post mortem ergeben.
    Und mein Piepser meldet sich. Und zeigt mir die Nummer meines neuen Erlösers.
    Mit Fensterläden und Türen an den Händen greife ich zum Telefonhörer. Mit Leitungsrohren und Regenrinnen an den Fingern wähle ich eine Nummer, die ich nicht vergessen kann.
    Ein Mann nimmt ab.
    Und ich sage: Dad. Ich sage: Ich bin’s.
    Ich sage ihm, wo ich wohne. Ich sage ihm den Namen, den ich jetzt benutze. Ich sage ihm, wo ich arbeite. Ich sage ihm, dass ich weiß, wonach das alles aussieht, Gina und Katrin, beide tot, aber ich war das nicht. Ich bin einfach bloß weggelaufen.
    Er sagt, das weiß er. Er hat das Hochzeitsfoto in der Zeitung heute gesehen. Er weiß, wer ich jetzt bin.
    Vor ein paar Wochen bin ich an ihrem Haus vorbeigefahren. Ich sage, dass ich ihn und Mutter im Garten habe arbeiten sehen. Ich habe in der Straße geparkt, unter einem blühenden Kirschbaum. Mein Auto, Helens Auto, mit rosa Blütenblättern bedeckt. Er und Mutter, sage ich, ihr habt gut ausgesehen.
    Ich sage, er hat mir auch gefehlt. Ich liebe ihn auch. Ich sage, mir geht’s gut.
    Ich sage, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich sage, aber es wird alles gut.
    Danach höre ich nur noch zu. Ich warte, dass er aufhört zu weinen, damit ich sagen kann, wie sehr mir alles Leid tut.

37
     
    Das Gartoller-Anwesen im Mondlicht, ein Haus im georgianischen Stil, acht Schlafzimmer, sieben Bäder, vier Kamine, alle Räume leer und weiß. Meine Schritte hallen von den polierten Fußböden wider. Kein Licht, das Haus ist dunkel. Und ohne Möbel und Teppiche kalt.
    »Hier«, sagt Helen. »Hier können wir es machen, hier sieht uns keiner.« Sie drückt auf einen Lichtschalter neben einer Tür.
    Die Decke ist so hoch, sie könnte der Himmel sein. Licht von einem bedrohlich großen Kronleuchter, riesig wie ein kristallener Wetterballon: Das Licht macht die hohen Fenster zu Spiegeln. Das Licht wirft unsere Schatten hinter uns auf den Holzboden. Wir sind in dem 140-Quadratmeter-Ballsaal.
    Ich bin arbeitslos. Die Polizei ist hinter mir her. In meiner Wohnung stinkt es. Ein Bild von mir ist seitengroß in der Zeitung. Tagsüber verstecke ich mich in den Büschen vor der Haustür, warte nur auf die Dunkelheit. Und dass Helen Hoover Boyle mir sagt, was sie vorhat.
    Sie hat das Grimoire unter den Arm geklemmt. Die Seiten sind mit rosa und lila Flecken übersät. Sie schlägt das Buch auf und zeigt mir einen Zauberspruch, die englische Übersetzung, die sie mit schwarzem Stift unter das fremdsprachige Gekrakel des Originals geschrieben hat.
    »Sag es«, sagt sie.
    Den Zauberspruch?
    »Lies es laut vor«, sagt sie.
    Und ich frage, was das bewirken soll.
    Und Helen sagt: »Pass nur auf den Kronleuchter auf.«
    Sie fängt an zu lesen, eintönig und gleichmäßig, so als würde sie zählen, als wären die Worte Zahlen. Sie fängt an zu lesen, und die Handtasche, die sie an einem Gurt über die Schulter trägt, schwebt langsam empor. Die Handtasche schwingt sich über ihren Kopf, nur der Gurt hält sie noch wie einen gelben Ballon.
    Helen liest weiter, und meine Krawatte schwebt mir vor der Brust. Erhebt sich wie eine blaue Schlange aus einem Korb, streift meine Nase. Helens Rocksaum bewegt sich nach oben, und sie packt ihn und hält ihn mit einer Hand zwischen den Beinen fest. Sie liest weiter, und meine Schnürsenkel tanzen in der Luft. Ihre baumelnden Ohrringe, Perlen und Smaragde, schweben zu ihren Schläfen hoch. Ihre Perlenkette, sie schwebt ihr kreisend ums Gesicht. Sie schwebt über ihrem Kopf wie ein Heiligenschein.
    Helen blickt zu mir auf und liest weiter.
    Meine Sportjacke schwebt mir unter den Armen hoch. Helen wird größer. Sie ist mit mir auf Augenhöhe. Dann blicke ich zu ihr auf. Ihre Füße hängen mit den Zehen nach unten über dem Fußboden. Ein gelber Schuh fällt klappernd auf das Holz, dann der andere.
    Helen liest tonlos und gleichmäßig weiter, sie sieht zu mir herab und lächelt.
    Und dann verliere ich mit einem Fuß den Kontakt zum Boden. Mein anderer Fuß erschlafft, und ich strample, wie man es in

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