Lulu
Mund wischen, und du verbringst deine genussfähigsten Lebensjahre im Zuchthaus. Willst du dich, bitte, gleich entscheiden. Um halb ein Uhr fährt der Zug. Sind wir bis elf Uhr nicht handelseinig, dann pfeife ich den Polizisten herauf. Andernfalls packe ich dich, so wie du dastehst, in einen Wagen, fahre dich nach dem Bahnhof und begleite dich morgen Abend aufs Schiff.
LULU
Es kann dir damit doch unmöglich ernst sein?
CASTI-PIANI
Begreifst du denn nicht, dass es mir nur um deine leibliche Rettung zu tun ist?
LULU
Ich gehe mit dir nach Amerika, nach China; aber ich kann mich selbst nicht verkaufen lassen! Das ist schlimmer als Gefängnis.
CASTI-PIANI
Lies einmal diesen Herzenserguss! (Er zieht einen Brief aus der Tasche.) Ich werde ihn dir vorlesen. Hier ist der Poststempel »Kairo«, damit du nicht glaubst, ich arbeite mit gefälschten Dokumenten. Das Mädchen ist Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet, und das mit einem Mann, um den du sie beneidet hättest, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reist jetzt in Diensten einer Hamburger Kolonialgesellschaft.
LULU (munter)
Dann
besucht
er seine Frau ja vielleicht gelegentlich?
CASTI-PIANI
Das ist nicht ausgeschlossen. Aber höre diesen impulsiven Ausdruck ihrer Gefühle! Mein Mädchenhandel erscheint mir durchaus nicht ehrenvoller, als ihn der erste beste Richter taxieren würde; aber solch ein Freudenschrei lässt mich für den Augenblick eine gewisse sittliche Genugtuung empfinden. Ich bin stolz darauf, mein Geld damit zu verdienen, dass ich das Glück mit vollen Händen ausstreue. (Er liest.) »Lieber Herr Meier!« – So heiße ich als Mädchenhändler. – »Wenn Sie nach Berlin kommen, gehen Sie bitte sofort in das Konservatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie nach Gusti von Rosenkron – das schönste Weib, das ich je in Natur gesehen habe; entzückende Hände und Füße, von Natur schmale Taille, gerader Rücken, strotzender Körper, große Augen und Stumpfnase – ganz so, wie Sie es bevorzugen. Ich habe ihr schon geschrieben. Mit der Singerei hat sie keine Aussicht. Die Mutter hat keinen Pfennig. Leider schon zweiundzwanzig, aber verschmachtend nach Liebe. Kann nicht heiraten, weil vollkommen mittellos. Habe mit Madame gesprochen. Man nimmt mit Vergnügen noch eine Deutsche, wenn gut erzogen und musikalisch. Italienerinnen und Französinnen können mit uns nicht wetteifern, weil zu wenig Bildung. Wenn Sie Fritz sehen sollten …« – Fritz ist der Mann; er lässt sich natürlich scheiden – »… dann sagen Sie ihm, alles war Langeweile. Er wusste es nicht besser, ich wusste es auch nicht …« Jetzt folgt die genauere Aufzählung …
LULU (verhetzt)
Ich kann nicht das Einzige verkaufen, das je mein eigen war.
CASTI-PIANI
Lass mich doch weiter lesen!
LULU (wie oben)
Ich liefere dir heute Abend noch unser ganzes Vermögen aus.
CASTI-PIANI
Glaub’ mir doch um Gottes willen, dass ich euren letzten Heller schon bekommen habe. Wenn wir nicht bis elf Uhr das Haus verlassen haben, dann transportiert man dich morgen mit deiner Sippschaft per Schub nach Deutschland.
LULU
Du kannst mich nicht ausliefern!
CASTI-PIANI
Meinst du, das wäre das Schlimmste, was ich in meinem Leben gekonnt habe?! Ich muss für den Fall, dass wir heute Nacht fahren, nur rasch noch ein Wort mit Bianetta reden.
(Casti-Piani geht ins Spielzimmer, die Tür hinter sich auflassend. Lulu starrt vor sich hin, das Billett, das ihr Rodrigo zusteckte und das sie während des ganzen Gespräches zwischen den Fingern hielt, mechanisch zerknitternd. Alwa erhebt sich hinter dem Spieltisch, ein Wertpapier in der Hand, und kommt in den Salon.)
ALWA (zu Lulu)
Brillant! Es geht brillant! Die Geschwitz setzt eben ihr letztes Hemd. Puntschu hat mir noch zehn Jungfrauaktien versprochen. Die Steinherz macht ihre kleinen Profitchen. (Er geht nach rechts vorne ab.)
LULU (allein)
Ich in ein Bordell? – (Sie liest den Zettel, den sie in der Hand hält, und lacht wie toll.)
ALWA (kommt von rechts vorn zurück, eine Kassette in der Hand)
Machst du denn nicht mit?
LULU
Gewiss, gewiss. Warum nicht!
ALWA
Apropos, im »Berliner Tageblatt« steht heute, dass sich der Alfred Hugenberg im Gefängnis ins Treppenhaus hinuntergestürzt hat.
LULU
Ist denn der auch im Gefängnis?
ALWA
Nur in einer Art von Preventivhaft.
(Alwa geht ins Spielzimmer ab. Lulu will ihm folgen. In der Tür tritt ihr die Gräfin Geschwitz entgegen.)
DIE GESCHWITZ
Du gehst, weil ich
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