Lumpenloretta
zwei Häuser weiter, zum Haus von Zecke. Der Zecke-Vater ist zur Tür gekommen und hat gesagt, dass sein Sohn mit Zahn und „dem neuen Mädel“ vor einer Stunde vom Badeteich gekommen, aber mit den beiden gleich wieder losgeradelt ist. „Irgendetwas von Eis essen, glaube ich gehört zu haben“, hat er gesagt.
Glatze hat sich für die Auskunft bedankt, ist heimgerannt, hat sein Fahrrad aus dem Keller geholt und ist zum Einkaufszentrum geradelt. Weil Zecke und Zahn das Eis vom Italiener im Einkaufszentrum am besten schmeckt. Ein paar hundert Meter vor dem Einkaufszentrum, auf der B 2, ist ein Kiosk mit einem winzigen Gastgarten dahinter. Wie Glatze auf den Kiosk zugeradelt ist, hat er wieherndes Lachen gehört. Eindeutig Zahns Pferde-Lacher! Glatze hat gebremst, ist vom Rad gestiegen und hat es in den Gastgarten geschoben. Nur zwei Tische mit je drei wackligen Sesseln sind hinter dem Kiosk, zwischen ein paar Kübeln mit staubigen Oleanderbäumchen, gestanden. Beim einen Tisch sind drei üppig tätowierte Männer gesessen und haben Dosenbier getrunken, beim anderen Tisch sind Zecke, Zahn und die Loretta gehockt und haben lachend Eis geschleckt. Gelacht haben sie deshalb, weil sie nach jedem Schlecker die Stanitzel im Kreis herum weitergereicht haben. In einem Stanitzel ist rosarotes Eis gewesen, in einem gelbes, in einem braunes, und das Eis ist schon ziemlich weich gewesen. Aus den Stanitzelspitzen hat es getropft. Die Finger der drei sind braun-rosarot-gelb eingesaut gewesen, auf der Nasenspitze der Loretta ist ein rosaroter, tropfender Eisklacks gewesen.
Zecke hat Glatze zuerst gesehen. Er hat zu lachen und zu schlecken aufgehört und gefragt: „Wieder im Lande, der junge Herr? Hat die Familie schon ausjubiliert?“
Glatze hat sein Rad zu den anderen Rädern an die Kiosk-Rückwand gelehnt und sich nach einem freien Sessel umgeschaut. Ist aber keiner zu sehen gewesen.
„Frag den Dicken im Kiosk, ob er noch wo einen Sessel vorrätig hat“, hat Zahn geraten.
Und die Loretta hat ungeduldig gedrängt: „Machen wir weiter, bevor das Eis komplett zerronnen ist!“
Zecke und Zahn haben genickt und haben kichernd die Stanitzel wieder im Kreis rumgehen lassen und hurtig geschleckt.
Glatze hat sein Rad geschnappt und ist raus aus dem Gastgarten. Zecke und Zahn haben hinter ihm her gerufen, dass er zurückkommen soll und dass sie eh gleich fertig sind. Glatze hat sich nicht umgedreht. Er ist zur Siedlung zurückgeradelt und die Straße rauf, zu seinem Denkstein. Auf dem ist er gesessen, bis die Sonne hinter dem Karottenfeld untergegangen ist, und hat das Radon wirken lassen.
AM NÄCHSTEN MORGEN IST GLATZE in aller Herrgottsfrühe aufgewacht. Wahrscheinlich deswegen, weil gestern das Nachtmahl ausgefallen war und Glatzes Magen an regelmäßige Nahrungszufuhr gewöhnt ist.
Glatze ist in die Küche runtergegangen und hat sich mit kalter Milch und Vollkorn-Keksen versorgt. Mampfend hat er dem lauten Schnarchen gelauscht, das aus dem Schlafzimmer gekommen ist. Normalerweise schnarcht sein Vater etwas dezenter, aber wenn er am Tag vorher zu viel Alkohol getrunken hat, sägt er dröhnend drauflos. Und die Glatze-Mutter schluckt an solchen Abenden vorsorglich zwei Schlafpulver, damit sie neben dem Schnarcher schlafen kann. Glatze hat die Keks-Packung leer gefuttert, dann hat er sich angezogen.
Aufs Duschen und Zähneputzen hat er verzichtet. Glatze ist kein Sauberkeits-Fanatiker. Er hält es da mit seinem Opa, der behauptet, dass zu viel Wasser der menschlichen Haut schadet.
Zwanzig Minuten nach sechs Uhr ist es gewesen, wie Glatze durchs Küchenfenster mit einem Buch in den Garten raus ist. Er hat einen Liegestuhl aufgeklappt und so hingestellt, dass man von ihm aus die Hinterseite vom 19er-Haus im Blick hat. Dann hat er sich in den Liegestuhl plumpsen lassen, hat das Buch aufgeschlagen und drauf gewartet, dass sich nebenan etwas rührt. Zuerst hat sich aber seine Mutter gerührt. Die hat so gegen acht Uhr zum Küchenfenster rausgerufen: „Frühstück ist fertig!“
Glatze ist zum Küchenfenster gegangen und hat gesagt, dass er heute im Grünen frühstücken will. Die Glatze-Mutter hat sichtlich einen guten Tag gehabt. Ohne Kommentar hat sie ein Häferl Kakao, ein Glas Orangensaft, eine Butter-Marmelade-Semmel auf ein Tablett getan und aufs Fensterbrett gestellt. Bloß „Gib auf die Wespen acht!“ hat sie Glatze nachgerufen, wie er das Tablett zum Liegestuhl getragen hat. Ganz ohne Belehrung geht es eben nie bei
Weitere Kostenlose Bücher