Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
eigenes Leben zu ändern – aber niemals pfuscht man in das
anderer hinein, schon gar nicht auf so grässliche Weise! Bei Gott, bist du denn
so verblendet von Gier und Rachsucht, dass du das Offensichtliche nicht siehst?‹
Der
Rattenfänger starrte mich dumpf an. Das Lachen war ihm mittlerweile vergangen. ›Du
hast mich belogen‹, murmelte er. ›Du bist nicht wie ich. Du bist nur ein
weiterer Narr, der die unansehnliche Wahrheit verdrängt, weil sie ihm nicht in
den Kram passt.‹
›Du
hast ein unverzeihliches Verbrechen begangen.‹ Nun klang meine Stimme bedauernd.
›Und ich sehe, dass es dir an jeglicher Einsicht mangelt. Wenn ich dich nicht
hier und jetzt unschädlich mache, wirst du weiteren Schaden anrichten. Es wäre
unverantwortlich, das zuzulassen.‹
Der
magere Körper des Rattenfängers spannte sich an, seine Augen verengten sich zu
winzigen Schlitzen. ›Willst du mich etwa beseitigen, Magier? Blut von deinem
Blut?‹
›Du
hattest recht, ich habe mich getäuscht. Wir haben nichts gemein, du und ich‹, erwiderte
ich bitter. Und damit ging ich in Angriffsposition über.«
Kapitel IV
Schneidend kalt
schlug mir der Fallwind ins Gesicht, als ich wie ein Fallschirmspringer in die
Tiefe segelte. Meine Arme waren weit ausgebreitet, meine Beine an den Leib
gezogen, meine Sinne bis zum Zerreißen angespannt. Unter mir näherte sich der
Erdboden mit rasender Geschwindigkeit, und ich schloss verängstigt die Augen.
Da
lief ein heißer Schauer durch meinen Leib, meine Knochen verbogen und verschoben
sich, mein Fleisch schmolz wie kochendes Gummi. Federn stachen nadelspitz durch
meine brodelnde Hautoberfläche, mein Schädel verformte sich, wurde auf die
Größe einer Orange zusammengepresst. Ich wollte schreien, meinen Schmerz in die
Welt hinausbrüllen, aber auch meine Lungen wurden von einer glühenden Faust
zusammengequetscht.
Obwohl
es mir unendlich viel länger erschien, dauerte es wohl nur einen Lidschlag, bis
der Wind sich in meinen noch blutig-feuchten Federn verfing und meinen Sturz
abrupt bremste. Ich krächzte heiser und flatterte heftig mit den Flügeln,
kämpfte darum, wieder an Höhe zu gewinnen. Das verdammte Buch, das ich in meinem
Overall verstaut hatte und das nun an meinem Vogelleib als sackartiger Ballast
hing, zog mich hartnäckig in die Tiefe. Hinzu kam, dass mein Körper nun so
klein war, dass meine Hose bereits verloren war und auch das Oberteil meinen
Hals hinabrutschte. Das hatte ich nicht bedacht.
Ich
krächzte angestrengt und flatterte heftiger. Regen und Wind peitschten mir
entgegen, brachten mich zusätzlich von meiner Flugbahn ab. Über mir zerriss ein
Blitz den finsteren Himmel.
Es
war vollkommen sinnlos, ich hatte nicht genügend Kraft, den Elementen und der
Schwerkraft gleichermaßen zu trotzen. In den nächsten Sekunden würde ich unweigerlich
abstürzen und wie eine überreife Tomate auf dem Asphalt zerplatzen.
Und
dabei war meine einzige Sorge vor dem Absprung gewesen, ob ich meine
Verwandlungsfähigkeit nach dem Bruch mit Ihm beibehalten hatte. Wie naiv
von mir, wie furchtbar dumm …
Mein
Schnabel öffnete sich zu einem kläglichen Laut, und ich spürte, wie der Stoff
des Overalls endgültig an meinem gefiederten Körper den Halt verlor. Plötzlich
war die eiserne Hand, die mich zu Boden hatte drücken wollen, verschwunden, und
ich schoss wie ein Flaschenkorken in die Höhe. Meine Augen weiteten sich in
blankem Schrecken, und ich sah dem Stoffsack mit dem wertvollen Inhalt
fassungslos dabei zu, wie er in der Tiefe verschwand.
Da
ertönte ein heiseres Krächzen, und ein schwarzer Schatten flitzte unter mir hindurch
und Richtung Erde. Ich traute meinen Augen kaum, als ich sah, wie das kleine,
flinke Wesen das Buch knapp über dem Erdboden aus der Luft schnappte und sich
damit scheinbar mühelos wieder in den Himmel schraubte.
Wind
und Wetter ignorierend, nahm ich mit einigen kraftvollen Flügelschlägen die
Verfolgung auf. Der Vogel vor mir bahnte sich seinen Weg durch den aufgewühlten
Himmel mit verblüffender Wendigkeit, trotz des Gewichts, das an seinen Krallen
hing. Obwohl ich nun frei von jeglichem Ballast war, fiel es mir schwer, die Geschwindigkeit
des Tieres zu halten. Mein winziges Herz raste wie verrückt in meiner Brust,
und meine Flügel begannen zusehends zu schmerzen. Immer wieder wurde ich von
einem Windstoß zur Seite gerissen und verlor wertvolle Zeit bei dem Versuch, wieder
in eine waagrechte Flugposition
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