Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Erstarrung. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und warf sich
auf ihn, nach dem Buch in seinen Händen fassend. Er schrie überrascht auf,
hatte jedoch nicht die Geistesgegenwart, sich gegen ihren Angriff zur Wehr zu
setzen. Mit einem triumphierenden Schrei entriss sie ihm den Folianten und stürmte
an ihm vorbei aus dem Raum.
»Bleib
hier, Schlampe!«, donnerte es hinter ihr, und sofort hörte sie, wie rasche
Schritte einsetzten.
Tränen
liefen ihre Wangen herab, und sie lief auf die Toilette, sperrte sich darin
ein. Keuchend fiel sie auf den Fliesen nieder, das Buch an die Brust gepresst. Etwas
warf sich wuchtig gegen die versperrte Tür, und der gesamte Raum schien in
seinen Grundfesten zu erbeben.
»Mach
auf! Dein dich liebender Mann muss dir eine Lektion erteilen!«
Miranda
schluchzte auf und begann, hektisch durch die Seiten aus brüchigem Pergament zu
blättern. Verschlungene, fremdartige Symbole in tiefschwarzer Tinte waren darauf
abgebildet, und obwohl sie die Schriftzeichen nicht verstand, wusste sie doch,
dass es sich hierbei um ein magisches Artefakt handeln musste. Wer auch immer
dort draußen gegen die Tür anrannte, er durfte diesen Band auf gar keinen Fall in
die Hände bekommen.
Sie
presste die Lider zusammen, formte lautlos Worte mit den Lippen.
Er darf es nicht bekommen , hämmerte es in ihrem
Kopf. Er darf es nicht bekommen, bei Gott.
Ein
seltsames, blasses Licht erhellte den dunklen Einband des Buches, und sie
spürte, wie es sich erwärmte, bis es beinahe die Temperatur von menschlicher
Haut erreicht hatte. Noch immer hatte sie die Augen nicht geöffnet, doch das
Licht drang durch ihre Lider hindurch, hinterließ Abdrücke auf ihren Netzhäuten.
»Was
tust du da drin?«, ertönte die sich vor Wahnsinn überschlagende Stimme aus dem
Flur. »Lass deine widerlichen Hände von meinem Buch! Es gehört mir , mir allein!«
»Es
wird dir niemals gehören«, flüsterte sie. Eine Träne fiel auf den Ledereinband,
versickerte darin. Weitere Tropfen folgten, wurden von der Hülle des Folianten
förmlich aufgesaugt, als bestünde er aus trockener Erde.
»Niemals.
Niemals. Niemals.«
Da
wurde die Tür mit einem Ruck aufgesprengt, und Johannes erschien im Türrahmen.
Seine Augen schienen in Flammen zu stehen, ja, seine ganze Gestalt brodelte und
war kurz davor, zu schmelzen. Seine Gesichtshaut löste sich ab, als handelte es
sich dabei um eine Maske aus Gummi, die jemand in den Ofen gesteckt hatte, und
darunter zum Vorschein kam ein nicht minder bekanntes Gesicht. Fassungslos
starrte Miranda den anderen an, schüttelte den Kopf, immer und immer wieder.
»Nein«,
flüsterte sie. »Das ist nicht möglich.«
Der
Mann, der nun sein wahres Gesicht zeigte, lachte bedrohlich. »Ich hätte dich
verschont, du Närrin. Kein Haar hätte ich dir gekrümmt. Aber du, du musstest ja
unbedingt meine Tarnung auffliegen lassen. Deine dreckigen Hände an die heilige
Schrift legen. Nun wirst du bezahlen. Die Wahrheit wirst du mit in dein
dunkles, feuchtes Grab nehmen, Miranda.«
Ihre
Finger bohrten sich in den Einband des Buches, und sie rappelte sich auf, um ihrem
Gegner von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. »Wer auch immer du tatsächlich
bist, niemals werde ich vor dir in die Knie gehen. Solange mein Herz noch
schlägt und meine Gedanken klar sind, werde ich mich wehren, bis zum letzten
Tropfen Blut, der durch meine Adern fließt.«
»Närrin.«
Er lachte kalt, streckte seine langen, weißen Finger nach ihr aus, berührte ihre
Stirn. Ein scharfer Schmerz explodierte zwischen ihren Schläfen, und sie
taumelte zurück, die Hand gegen die pochende Stelle gepresst.
»Denkst
du wirklich, du hättest auch nur die geringste Chance gegen mich? Genauso gut
könntest du versuchen, einen Baum mit bloßen Händen zu entwurzeln. Und das
weißt du auch sehr genau, habe ich recht? Du weißt, dass du schwach bist. Dass
du verloren bist.«
»Nein«,
flüsterte sie. »Nein.«
Er
streckte eine fordernde Hand aus. »Nun gib mir das Buch!«
» Nein! «
Ein ohrenbetäubendes, zorniges Brüllen brach über sie herein, erschütterte die
Erde selbst. Sie fiel nach hinten und landete hart auf den Fliesen, ihr Kopf
stieß gegen die Wand. Eine warme Flüssigkeit lief unter ihrem Haaransatz
hervor, sickerte ihr in die Augen. Sie blinzelte heftig, kämpfte um klare
Sicht.
»Du
kannst dich mir nicht verweigern! Ich hole mir, was mir zusteht!« Er griff nach
dem Buch. Im selben Moment, als seine Haut mit dem Einband in
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