Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
man sie so oft gepiekst, ihr Blut abgenommen, hier hatte sie Kortisoninfusionen erhalten und die Bluttransfusion. Doch wie immer folgte sie mir, treu und ergeben. Wo du hingehst, gehe ich auch hin. An deiner Seite ist mein Platz. Mit gesenktem Kopf trottete sie hinter mir her, wie auf dem Weg zur Guillotine. So mochte sie sich wohl fühlen in dieser Geruchshölle aus Panik und Todesangst. Ich konnte ihr nicht erklären, dass Ultraschall nicht wehtut. Ich hätte auch gelogen, weiß ich heute. Ihr würde er nicht wehtun. Aber mir. Denn der Monitor zeigte einen schwarzen Schatten, den das Gesicht der Tierärztin als Krebs ausdruckte, ich erkannte es sofort. Sie mied das Wort.
»Ein Tumor«, sagte sie.
»Wie lange noch?«, fragte ich, weil das automatisch an dem Wort Tumor dranhängt wie Hunger beispielsweise an Essen.
»Zwei Wochen bis drei Monate.«
Die Guillotine fiel.
Die Tierärztin schaltete das Gerät ab. Luna schüttelte sich und wollte raus. Ich ließ sie in den Garten hinter der Praxis, wo sie sich erleichtert in Gänseblümchen wälzte. So lebendig. Alle viere in die Luft, rechts, links, und die Schnauze wohlig grunzend durchs Gras. Die Tierärztin stellte sich neben mich, legte mir ihre Hand auf den Arm. »Milztumore kommen bei Hunden häufig vor. Man kann sie zwar operieren, doch davon rate ich ab. Die meisten Hunde überleben die Operation nur wenige Wochen oder Monate. Und bedenken Sie, dass Luna nicht mehr die J üngste ist. Da hätten Sie sich ohnehin früher oder später mit dem Gedanken an Abschied befassen müssen.«
Ja, das hatte ich getan. Seit sie zehn Jahre alt war. Siebzig hatte ich gedacht, was nicht stimmte. Die bekannte Sieben-Jahres-Regel gilt nur bei sehr großen Hunden, und als Labrador zählt Luna zu den mittelgroßen. Immer öfter hatte ich in den letzten beiden Jahren nach dem Alter anderer Hunde gefragt und dann, meistens erleichtert, verglichen: Dagegen sieht Luna ja noch richtig jung aus. Manchmal am See, wenn sie nicht genug kriegen konnte von Bällen und Stöcken, die ich noch viel weiter werfen sollte, fragte mich jemand »Wie alt ist der Hund denn?«
»Fast zwölf«, sagte ich. »Ach, ein Jährling.«
Ja, so kann sie sich benehmen am Wasser. Beim Spielen ist ihr das Alter nicht anzumerken. Zu Hause kann Luna locker achtzehn Stunden verträumen. Sie kann aber auch auf ihre Schläfchen verzichten. Das hängt davon ab, was gerade geboten ist. Was soll sie sonst auch machen, wenn nix los ist? Im Netz surfen kommt ja nicht infrage.
Alte Leute, habe ich mal gehört, lesen häufig die Todesanzeigen in Zeitungen. Vielleicht kannte man ja einen der Verstorbenen? Wenn eine Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben stirbt, zählt das Alter. Nur zwei Jahre älter als ich, nur eines, sogar jünger. Der Sensenmann rückt näher.
Niemals hatte ich daran gezweifelt, dass Luna ihren zwölf ten Geburtstag erleben würde. Es ging ihr blendend. Und nun war auf einmal alles anders, obwohl alles genauso war wie vorher. Warum nur hatte ich diesen Termin zum Ultraschall verabredet? Aber hätte ich den noch nicht geklärten Befund vergessen können?
Fest drückte die Tierärztin mir die Hand. »Machen Sie sich eine schöne Zeit miteinander. Geben Sie ihr leckere Sachen zu fressen. Genießen Sie die Tage und Wochen, die Ihnen und Luna bleiben.«
Kurt Peipe war 64 Jahre alt, als die Ärzte ihn wissen ließen: Da kann man nichts mehr machen. Der Gärtnermeister beschloss, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Mit seinem künstlichen Darmausgang und einem Tagesetat von fünf Euro wanderte er, zuerst mehr schleppend, zu Fuß von der dänischen Grenze bis nach Rom, 3 350 Kilometer unter widrigsten Umständen, nachts schlief er im Zelt. Unterwegs traf er zufällig einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung, so wurde seine Lebensgeschichte bekannt. Es folgten viele Zeitungsartikel, Fernsehberichte und schließlich ein Buch Dem Leben auf den Fersen, das ich mit ihm zusammen schrieb. Die Begegnung mit diesem Mann gehört zu den beeindruckendsten meines Lebens. Kurt sagte: »Wenn ich die Wahl hätte. Mein altes Leben zurück und gesund oder Krebs und diese letzten Wochen, Monate, ich würde nichts ändern wollen. Durch meine Krankheit hat sich mein Leben erfüllt. Ich bin ein anderer geworden. Ohne den Krebs hätte ich so vieles nicht erkannt. Die Zeit der Wanderung war die intensivste meines Lebens.«
Es war April, als der Verlag uns wissen ließ, das Buch würde am 8.8. erscheinen.
»Schönes
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