Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
war dunkel, als wir im Februar 2001 vor meinem Hexenhäuschen parkten.
»Auf keinen Fall darf der Hund vor uns rein«, sagte ich zu Johannes, was ich in einem Erziehungsratgeber gelesen hatte, »sonst ist der Hund der Chef. Wir müssen zuerst rein. Wir sind die Chefs. Chefs gehen immer voraus und kontrollieren prinzipiell die Ein- und Ausgänge.«
Luna wollte gar kein Chef sein. Luna war bloß neugie rig. Wahnsinnig neugierig. Zu dritt drängelten wir an der Tür, der Eingang war schmal, stürzten schließlich die Treppen hoch und gelangten wahrscheinlich gleichzeitig oben an. Im Tiefflug, auf gebeugten Beinen, schnupperte Luna durch die Räume. Als sie in mein Arbeitszimmer wollte, brüllte ich: »Nein!« Mit einem Riesensatz sprang der arme Hund zur Seite. Er hat in den acht Jahren, die wir im Hexenhaus wohnten, nie wieder mein Arbeitszimmer betreten, und das hat mir sehr leidgetan, denn es hätte mir gefallen: ich am Schreibtisch, der Hund darunter, im Winter meine Füße am weichen Fell wärmend. Nein, das kam nicht vor, das war das grauenumwobene Chefzimmer, Luna vergaß es nicht, obwohl der Teppich leicht zu reinigen gewesen wäre. Luna vergaß auch nicht, dass Hunde niemals aufs Sofa dürfen. Auch das tat mir später leid, wenn ich manchmal beim Fernsehen gern mit ihr gekuschelt hätte. Ich musste sie zwei-, dreimal auffordern, ehe sie zu mir auf das Sofa sprang. Dort fühlte sie sich nicht wohl, leckte sich übers Maul und machte einen verkrampften Eindruck.
Aus Angst vor Fehlern, die zu einem unerzogenen Hund führen würden, der das Leben in eine Hölle verwandeln würde, war ich sehr streng, vielleicht zu streng. Ich hatte noch nicht alle Hundebücher gelesen, womöglich nur die mit der autoritären Erziehung, und mir gemerkt, dass es für den Hund wichtig sei, unten und oben klar zu unterscheiden. Der Mensch ist oben, der Hund unten. Dann fühlt sich der Vierbeiner sicher, weil er seinen Platz kennt. Schwierigkeiten entstehen, wenn der Hund glaubt, er müsse den Chefplatz einnehmen, da seinem Zweibeiner die Qualifikation fehlt. Dies geschieht, wenn er zuerst durch Türen läuft, wenn er zuerst Futter bekommt und aufs Sofa und ins Bett darf. Das sind Chefprivilegien. Je nach Rasse hat ein Hund schwächere oder stärkere Ambitionen auf Karriere und versucht fortgesetzt, den Chefposten zu erringen. Ein Labrador ist diesbezüglich wenig ehrgeizig, aber natürlich versucht er es. Rüden liebäugeln eher mit der Chefposition als Hündinnen. Ein Hund, der seinen angestammten Platz kennt, fühlt sich wohl und ist nicht gestresst, das Gleiche gilt für seine Besitzer. So wollte ich es haben! Und natürlich sollte Luna so schnell wie möglich stubenrein werden. Wir hatten keine Ahnung, dass sie das bereits war.
In der ersten Nacht stellten wir den Wecker alle zwei Stunden und rissen den armen Welpen aus dem Schlaf, führten ihn abwechselnd nach draußen, beleuchteten mit einer Taschenlampe sein Hinterteil, ob da was rauskam. Es kam aber nichts raus, nur vorne ein leidender Blick eines total übermüdeten Hundebabys, das einen äußerst aufregenden Tag hinter sich hatte und bitte, bitte nur schlafen wollte. Aber wir meinten es gut und wollten alles richtig machen. Deshalb rief ich am nächsten Tag bei einer Hundeschule an, ich hatte bereits drei in der Umgebung herausgesucht. Frau Bärmann, die sich bei der ersten Telefonnummer meldete, machte einen kompetenten Eindruck. Nachdem sie mir zu meiner Neuanschaffung gratuliert und mir prophezeit hatte, dass ich nun eine wunderschöne Zeit erleben würde, ließ sie mich wissen, dass diese Zeit auch ganz schrecklich verlaufen könnte, wenn ich nicht schleunigst eine Welpenschule besuchen würde. »Das sage ich Ihnen nicht, damit Sie zu mir kommen. Sie können auch woanders hingehen. Aber tun Sie es! Unbedingt.«
»Welpenschule?«, wiederholte ich staunend. Ich hatte bereits einige neue Wörter aus meinen Hunderatgebern gelernt und manches über die ursprüngliche Bedeutung von Wörtern erfahren, wie zum Beispiel Luder oder Losung. Das ist nicht nur ein religiöser Leitspruch, sondern auch das, was hinten aus dem Hund rauskommt. Er löst sich und hinterlässt eine Losung.
»In der Welpenschule werden die Hunde sozialisiert. Das ist wichtig, damit sie später friedlich mit Artgenossen umgehen.«
Um Gottes willen! Artgenossen! Die gab es auch noch. Nicht nur Menschen, auch andere Hunde! Darauf war ich nicht vorbereitet.
»Und was macht man da?«, fragte ich Frau
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