Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Bärmann.
»Das kommt ganz drauf an.«
»Worauf?«
»In welcher Absicht sich der andere Hund nähert und welche Absicht Ihr eigener Hund hat.«
»Woran erkenne ich das?«
»Das kann ich Ihnen nicht am Telefon erklären.«
Ich meldete Luna und mich sofort zur Sozialisation an. Daraufhin erteilte mir Frau Bärmann noch einen kostenlosen Ratschlag.
»Lassen Sie den Hund kurzzeitig allein. Er muss so schnell wie möglich lernen, allein zu sein. Was Hänschen nicht lernt – na, Sie können sich ja selbst ausmalen, wie es weitergeht.«
»Wie, allein lassen?«, fragte Johannes.
»Nicht lang. Nur eine halbe Stunde. Das ist wichtig, sagt Frau Bärmann«, sagte ich zum ersten Mal den Satz, der bald schon ein rotes Tuch in unserer rosaroten Beziehung werden würde. Frau Bärmann sagt, Frau Bärmann meint, Frau Bärmann rät.
Johannes wollte die kleine Luna nicht allein lassen in dem großen Haus.
»So groß ist es nun auch wieder nicht.«
»Für einen kleinen Hund schon.«
Es zeichneten sich bereits am Tag eins mit Luna zwei un terschiedliche Erziehungsstile ab, die sich in den nächsten Wo chen und Monaten verfestigen würden. Ich hatte die besseren Karten, mit mir würde Luna den Großteil ihrer Zeit verbringen, Johannes manchmal abends und am Wochenende sehen, vorausgesetzt, unsere Beziehung überlebte Frau Bärmann. Ich hatte sozusagen das Sorgerecht, Johannes trug den Hund mit. So hatte er es mir versprochen, und das hielt er auch, als er für eine fehlende Impfung mit Luna zu einem neuen Tierarzt ging, der Johannes wissen ließ, dass der kleine Hund maximal eine halbe Stunde am Stück gehen sollte. Da steckte Johannes die kleine Luna auf dem Rückweg in seinen Rucksack und trug sie nach Hause. Manchmal war er viel lieber zu ihr als ich. Und gleichzeitig strenger. Jedenfalls war er einfühlsam und schlug vor, das Radio einzuschalten, wenn wir Luna schon allein lassen sollten.
Wir standen vor dem Hexenhäuschen, drinnen wurden Hänsel und Gretel bei lebendigem Leibe verspeist, so grauenvoll jaulte es durch die Mauern und Fenster. Wie konnte ein so kleiner Hund so laut sein? Verzweifelt schauten Johannes und ich uns an. Dann stürmte er nach vorne.
»Nicht!«, rief ich und hielt ihn zurück. »Wir dürfen jetzt auf keinen Fall nachgeben!«
»Aber sie leidet!«, rief er.
»Wir müssen sie allein lassen!«, rief ich, das Jaulen endete abrupt. Ich legte meinen Zeigefinger auf die Lippen und zog Johannes mit mir Richtung Auto. Widerstrebend folgte er mir.
»Sie muss lernen, allein zu sein«, flüsterte ich ihm zu, als wüsste er das nicht selbst.
Wir stiegen ein. Wir lauschten. Da war es wieder. Luna jaulte bis zur Straße. Die Haare stellten sich mir auf. Johannes sah aus, als hätte er starke Schmerzen überall. Wir stiegen aus und pirschten uns an das Haus
»Nein, das schaffe ich nicht«, Johannes schüttelte den Kopf.
»Bitte!«, rief ich.
Er drehte sich zu mir.
»Bitte lass es uns versuchen, bitte! Ich werde doch meistens mit ihr zusammen sein! Ich muss sie auch mal allein lassen können! Das ist wichtig für mich.«
Johannes atmete tief durch. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Aber es ist entsetzlich. Hoffentlich haben wir jetzt nicht ständig so ein Theater.«
Ein einziges Mal noch würde Johannes in den nächsten Tagen einen Vorbehalt gegen Luna äußern. Beim Tischtennis klaute sie uns ständig die Bälle, und er befürchtete, wir könnten nie wieder entspannt Ball spielen. Doch da war ich schon bei Frau Bärmann in der Hundeschule gewesen und konnte ihn beruhigen: »Alles Erziehungssache!«
Diese Autofahrt ohne Luna zum Supermarkt war Johannes und mein Initiationsritual als Eltern light. Wir merkten es nicht. Aber plötzlich gab es etwas Drittes, Kleines, worum wir uns sorgten. Es war kein Segelboot, kein Motorrad, kein Ferienhaus im Süden. Es hatte ein Herz, und das schlug schnell, vielleicht noch schneller, weil es GANZ ALLEIN IN DEM GROSSEN HAUS war.
»Sie ist weg!«, rief ich, als wir zurückkamen, gerade mal mit der Hälfte unserer Einkaufsliste im Gepäck, den Rest hatten wir vergessen.
»Das gibt’s nicht!«, rief Johannes, doch auch er entdeckte keine Luna. Der Korb leer, die Küche leer, das Arbeitszimmer, wohin sie ja gar nicht gedurft hätte. Plötzlich ein Winseln, kaum zu hören durch die Stimme des Nachrichtensprechers.
»Oben! Sie ist oben!«
Wir stürzten die Treppe hoch. Da saß sie. Rauf hatte sie es geschafft, immer der Stimme nach. Runter nicht, die Stufen
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