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Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Datum«, sagte ich zu Kurt.
    Ich ahnte nicht, dass damit sein Todestag feststand. Ich hoffte sehr, er würde sein Buch noch in den Händen halten können. Es ist ein langer Weg vom abgegebenen Manuskript bis zum gedruckten Buch. Kurt schaffte es. Ich glaube, er starb als glücklicher Mann, auch wenn die letzten Tage entsetzlich waren. Er lehnte Schmerzmittel ab, weil er alles wach und klar wahrnehmen wollte. Bewusst. Selten habe ich Leben so kostbar erlebt wie im Angesicht des Abschieds, wie mit Kurt. Einmal liefen wir einen Waldweg entlang, die Sonne schien durch die Buchen. Ich fragte ihn etwas über seine Krankheit. Da nahm er meine Hand. »Jetzt gehe ich mit dir durch diesen wundervollen Wald.« In dem Moment war es, als risse ein Schleier, als kämen der Frühling, der Wald, die Vogelstimmen und würzigen Düfte erst jetzt bei mir an und ich bei ihnen. Vor uns her lief Luna, schwanzwedelnd.
    Ich rief Luna vom Garten hinter dem Haus zurück in die Tierarztpraxis, ihre Rute sank tief, als ich am Ausgang stand, schnellte sie nach oben, und die Wedelmaschine begann zuerst verhalten, dann heftig, kaum standen wir auf der Straße. Hochinteressant, die Postings vor einer Tierarztpraxis. Luna senkte ihre Nase und nahm sie gewissenhaft auf, kommentierte auch zweimal. Am Gartenzaun stehend, beobachtete ich sie. Tränen liefen mir übers Gesicht. Der ganze Hund ein Bild der Sorglosigkeit, Freude, vertieft in jeden einzelnen Augenblick. Jetzt lebt sie noch, dachte ich, nein, ohne noch. Jetzt lebt sie, sagte ich mir vor. Jetzt ist jetzt. Ein Lkw donnerte dicht an mir vorbei. In einer Sekunde könnte ich Matsch sein. Jetzt ist jetzt. Bis zum See darf ich weinen, erlaubte ich mir, dann weine ich nie mehr. Ich bin die Große.
    Als mein Mann gestorben war und ich in der ersten Nacht ohne ihn in unser Bett schlüpfte, nach einer Stelle suchend, die nach ihm roch, stieg ein grauenhaftes Weinen aus meinem tiefsten Innersten auf. Nie mehr. Nie mehr kann man sich nicht vorstellen. Nie mehr begreift man erst, wenn es eingetreten ist, und auch nicht auf einmal, es ist viel zu groß. Nie mehr kann nur in kleinen Stücken und immer wieder aufs Neue betastet, bestaunt und irgendwann einmal angenommen, akzeptiert werden. In dieser ersten Nacht wusste ich noch sehr wenig darüber, was mir bevorstand. Es war mir aber bewusst, dass die schwerste Zeit meines Lebens anbrach. Ich stand an der Schwelle. Es war mir auch klar, dass ich alle meine Kräfte brauchen würde und manchmal mehr, um das zu überleben.
    »Im Bett wird nicht geweint«, flüsterte ich mir selbst zu. »Im Bett wird nur geschlafen.« Ich hielt mich dran, und wann immer das Weinen mich nachts zu überwältigen drohte, stand ich auf.
    Am See warf ich einen Stock ins Wasser. Luna stürzte ihm begeistert nach. Ich rief ihr ein »Jippi!« hinterher. Es klang schwach, aber Luna merkte es hoffentlich nicht in ihrer Begeisterung. Stock und Wasser. Das Leben ist schön.
    Gnadenbrot, Henkersmahlzeit, dachte ich, als ich ein Steak kaufte, Blutbildungsmaßnahme. Ich esse selten Fleisch. Es stank in der Küche. Egal. Mitgehangen, mitgefangen. Luna war begeistert von der Schonkost. Vor Entzücken verdrehte sie fast die Augen.
    Ich schnitt das kurz angebratene Steak in kleine Bissen, legte mir eins nach dem anderen auf die Hand, innen noch blutig, English medium, und reichte es ihr. Sehr vorsichtig nahm sie die Stücke entgegen. Natürlich kaute sie nicht, schluckte nur. Alles normal. Wenn ihre weichen Lippen meine Hand berührten, berührte sie mein Herz. Was ihr egal war. Luna schielte auf das Brettchen mit dem Rest. Kalt war ihre Schnauze. Da ist der Hund gesund. Genauso soll er sich fühlen, wenn er in meine Augen schaut. Alles gut. Alles wie immer. Das ist mein Job. Mein Dank an Luna. Alles wie immer. Bloß nicht an die Zukunft denken. Wie sollte ich leben, ohne meine Sonne schwarzer Schatten. Ich war nicht vorbereitet auf das, worauf man sich nicht vorbereiten kann, weil es immer anders kommt. Alles wäre anders, wenn man mit der Geburtsurkunde einen Zettel ausgehändigt bekäme, wie lang das Leben währt. Gültig bis 23. Februar 2083. Da könnte man sich dann einrichten, einteilen, ich vermute, es würde nicht gelingen. Der Tod passt nie, das ist die Würze des Lebens. Lieber an die Vergangenheit denken. Wie alles begann. Und an all das Schöne, was wir zusammen erleben durften. Das kann mir niemand nehmen. Ich bin die Große, und das bin ich gerne: für Luna.

Luder und Losung
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