Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
es, mit Luna Gassi zu gehen, dann haben sie nämlich einen Grund. »Für uns allein lohnt sich das Spazierengehen ja nicht«, sagt meine Mutter manchmal. Meine Eltern, beson ders mein Vater, brauchen eine fundierte Begründung, warum sie etwas tun. Einfach so etwas zu tun, weil es Spaß oder Freude macht, kommt bei ihnen nicht vor. Beziehungsweise wenn die Gefahr besteht, es könnte vorkommen, muss ein Grund gefunden werden. Darin sind sie, immerhin Eltern einer Schriftstellerin, erfindungsreich. Nicht nur für sich selbst, auch für andere. Der Hund, gegen dessen Anschaffung sie zuerst strikt waren, ist nun gut für meine Gesundheit und für die Abwehrkräfte ihrer Enkel, eine Art natürlicher Neurodermitis-Schutz. Als ich vor vielen Jahren mit dem orientalischen Tanz begann und zu einem runden Geburtstag meines Vaters vortanzte, genügte dies allein noch nicht als Grund, anderen Freude zu bereiten – denn was ist das schon, Freude? Mein Vater nickte bedächtig und meinte dann: »Diese Bewegungen sehen recht geschmeidig aus. Sicherlich hilft dir diese Anmut auch in deinem Alltag. Wenn du zum Beispiel auf der Leiter stehst, um ein Buch von oben zu holen.«
Man muss manchmal ein wenig nachdenken, um den Grund herauszufinden, aber das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken. Man kann sich auch überlegen, ob man weiterfragen möchte. Denn jemand müsste diese neu erworbene Anmut ja wahrnehmen, was in die Abhängigkeit führte. Oder geht es um die Anmut um der Anmut willen? Sich selbst genügen? Aber wäre das ein Grund, der vor meinem Vater bestehen könnte?
Als ich Luna bei meinen Eltern abholte, wirkte sie deprimiert. Im ersten Moment erschrak ich. Inneres Verbluten? Dann ver mutete ich, dass meine Eltern einen Trauerzug veranstaltet hatten, dem Luna sich, einfühlsam und dienstbeflissen, wie sie ist, anschloss.
Luna weiß nicht, warum jemand traurig ist. Sie ist es dann einfach auch. Luna weiß nicht, warum ich mich freue. Sie freut sich einfach auch. So kann ich sie überlisten. Ich kann so tun, als würde ich mich freuen, dann tut sie so, als würde sie sich freuen, oder freut sich wirklich, was ich nicht unterscheiden kann, wie ich hoffe, dass sie es bei mir nicht unterscheiden kann. Jedenfalls freut mich das so, dass ich mich wirklich freue und sie sich dann erst recht. Hunde sind sehr gesund!
»Ich sage überhaupt niemandem mehr, dass Luna von einer Schlange gebissen wurde und jetzt vielleicht einen Milztumor hat«, lasse ich Johannes am Abend wissen.
Fragend schaut er mich an.
»Indem ich es sage, wird er immer größer und größer. Damit schwäche ich den Hund. Ich will sie nicht als Patientin behandeln, sondern als vitalen Hund. Das ist sie ja auch – solange man ihr nicht vermittelt, dass sie todkrank ist.«
»Das ist ein guter Weg«, meint Johannes. »Wir vergessen das jetzt einfach. Man sieht ihr ja nichts an. Sie ist wie früher.«
»Ja, wir vergessen es«, wiederhole ich und hoffe, es gelingt. Ich möchte Johannes erzählen, dass die Sprechstundenhilfe bei der Tierärztin von einem Hund berichtete, der dann doch keinen Milztumor hatte, und von einer Katze, die … Aber das sind ebenfalls: Krankengeschichten. Was redet man Schönes über einen Hund?
»Weißt du noch«, frage ich Johannes, »was wir früher über Luna geredet haben?«
Er grinst breit. »Na klar. Es gab eigentlich nur ein Thema am Anfang.«
Ich beuge mich vor. »Ja?«
»Ihre Verdauung«, platzt er heraus, und da fällt es mir auch wieder ein.
Wir begrüßten uns damals nicht wie ein noch frisch verliebtes Pärchen, wir fragten uns nicht, wie es uns ging, sondern »Wie oft?«
»Zweimal.«
»Und was?«
»Einmal gepinkelt, einmal geschissen.«
»Und wie?«
»Besser als heute Morgen.«
»Nicht mehr so weich?«
»Nein. Und auch nicht mehr so karottenfarben.«
»Schön«, sagte ich und rührte den Eintopf um, der auf dem Herd köchelte. »Magst du eine Wurst dazu?«
Wenn ich vom Gassigehen kam, drückte ich mich anders aus. Geschissen sagte ich nie. Das kam mir nicht über die Lippen. Ich probierte allerlei Alternativen. In diesem Bereich selbst für eine Schriftstellerin kein leichtes Spiel. Doch in der ersten Woche, als ich, wie ich später erfuhr, Luna falsch gefüttert hatte, weshalb sie ständig pupste, war es auch wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Ein Haufen ist keine Wurst. In der U -Bahn habe ich einmal ein Kind zu seiner Mutter sa gen hören: »Mama, ich muss ein Drucki-Drucki machen.« Bei uns zu Hause
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