Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
schonungslos an ihr. Sie war bis in die tiefste Seele traurig, traurig wegen Cissi, wegen Cecilia, dass diese sich so verlassen fühlte.
Und wieder fiel ihr ein, was ein guter Freund einmal verbittert mitten in einer Scheidung gesagt hatte: »Die erwachsenen Kinder möchten am liebsten, dass ihre alten Eltern ihre Kindheit verwalten. Nichts darf verändert werden!«
Sie wird sich schon beruhigen, dachte Veronika, aber dem war nicht so, Cecilia hatte in sich vieles aufgestaut und zeigte keinerlei Anzeichen dafür, sich zu beruhigen. Veronika hörte weiter zu, gleichzeitig spürte sie, wie ihr Bauch hart wurde. Alles zog sich in ihr zusammen. Sie stand langsam auf, stützte sich mit einer Handfläche an der Wand ab, hielt weiter den Hörer ans Ohr, hörte aber nicht zu, kreiste mit den Hüften und versuchte ruhig zu atmen, während das Zusammenziehen in einen immer intensiveren, anwachsenden Schmerz in Bauch und Rücken überging, einen Schmerz, der einen Höhepunkt erreichte und dann langsam wieder abebbte. Cecilia verstummte. Endlich wurde sie still. Sie hörte, dass etwas passierte. Sie fragte, was denn los sei, und Veronika sagte, dass alles in Ordnung sei.
Plötzlich war die Tochter ruhig. Sie redeten wie sonst miteinander, noch ein paar Alltagsfloskeln, bevor sie auflegten, und beide wussten, dass sie dieses Thema wohl nicht mehr anschneiden würden. Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen, der Punkt war gesetzt, die innere Unruhe bearbeitet, und sie waren einander so sicher und mit den Streitmustern der anderen so vertraut, dass beide wussten, dass das Gleichgewicht wiederhergestellt war.
Erneut schlich sich der Schmerz bei ihr ein, kam tief aus dem Inneren, packte sie beim Bauch, am Rücken, im Becken. Sie erkannte das quälende Gefühl wieder. Auch wenn es einundzwanzig Jahre her war: Das war eine Wehe und nichts anderes.
Sie hatte noch knapp drei Wochen bis zum errechneten Geburtsdatum. Sicher nur falscher Alarm. Ein Glück, dass zumindest die Schlafzimmertapeten fertig waren.
Die Stationsleiterin der Allgemeinen Abteilung vier, Rigmor Juttergren, saß in ihrem Büro hinter geschlossener Tür und tat sich selbst Leid. Sie hatte festgestellt, dass es half, wenn sie nicht immer so wirken musste, als hätte sie alles unter Kontrolle. Ein bisschen Selbstmitleid tat manchmal gut.
Vom Flur hörte sie es aus einem Patientenzimmer klingeln, ihr Herz machte einen Satz, sie lebte immer noch in ständiger Bereitschaft. Es war, als ob ihr ganzer Körper und alle Sinne, Fühlen, Riechen, Sehen und Hören, darauf trainiert waren, alle Arten von Signalen aufzufassen, die für sie bestimmt waren, eigens für sie. Sie war darauf programmiert, zur Stelle zu sein, es war ihre Aufgabe, Sicherheit zu schaffen, Ruhe und Ordnung, und alle auftretenden Probleme zu lösen. Telefonläuten, Klingelsignale, ein schiefes Lachen, Klagelaute, unbesetzte Stellen, unsichere Urlaubsvertretung, Qualitätskontrolle, Papiere aus allen Richtungen, Langzeitkrankschreibungen, Rehabilitierung von Personal, das ausgebrannt oder krank war, und dann all diese sinnlosen Projekte, die so viel Zeit in Anspruch nahmen: Sitzungen einberufen und Berichte verfassen, statt draußen im Dienst als Leiterin präsent zu sein.
Sie hatte Führungskurse verschiedenster Arten mitgemacht, sie wusste, dass es wichtig war zu delegieren, aber das nützte nichts. Jetzt blieb sie in ihrem Büro sitzen, obwohl es wieder klingelte, und sie lauschte und konnte sich nicht entspannen, bevor sie auf dem Flur schnelle Schritte auf dem Weg zu dem rufenden Patienten hörte. Man konnte nie wissen, was das Klingeln bedeutete. Das konnte ein Patient sein, der dringend Hilfe brauchte, oder auch einer, der seinen Daumen auf der Klingelglocke festgeklebt hatte. Letzte Woche hatten sie eine arme verwirrte Alte gehabt, klein und zerbrechlich, der war schwindlig geworden, so dass sie auf dem Weg zur Toilette hingefallen und sich einen Schenkelhalsbruch zugezogen hatte. Jetzt lag sie in der Orthopädie und war noch verwirrter. Manchmal fragte man sich, ob es nicht besser war, rechtzeitig zu sterben.
Das Altem war nichts, worauf man sich freuen konnte, nur ein unvermeidlicher und stetiger Prozess in einer geradewegs abwärts führenden Spirale, die ihr oft das Gefühl gab, gehetzt zu werden. Gern würde sie häufiger mal die Zeit anhalten und sie sogar ab und zu zurückdrehen, aber nur selten wünschte sie, dass sie schneller vergehen würde. So wie jetzt.
Es gab zu viel
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