Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Das Feld lichtete sich, er bekam mehr Platz, aber leider auch mehr zu tun, was ein Rückschlag war. Der zweite Rückschlag, und wahrscheinlich der ausschlaggebende Grund dafür, dass er sich von der Klinik wegbewarb, war, dass der Personalleiter der chirurgischen Klinik eine Rochade gemacht und ganz überraschend Else-Britt zur stellvertretenden Leiterin bestimmt hatte, eine sehr gute, durchdachte Wahl, wie nicht nur Veronika fand.
Nach dem Tod ihrer Kollegin in der Chirurgie vor ein paar Jahren, mit Polizeiermittlungen und Gerichtsverfahren, war sowieso nichts mehr wie vorher gewesen, nicht zuletzt für Veronika, die abgesehen davon, dass sie die Leiche gefunden hatte und allem, was daraus folgte, auch noch einen Kommissar dazubekommen hatte. Da konnte man wirklich von »des einen Not, des andren Brot« reden! Claes hatte auch die Wahl von Else-Britt zur Stellvertreterin als ungewöhnlich klug kommentiert. Sonst machte man ja oft Fehler bei so einer Entscheidung, wie er sagte. Nur weil viele Männer im mittleren Alter ausgelaugt sind nach einem langen, zähen Kampf um die Karriere, glauben sie, dass es Frauen auch so geht. Er selbst hatte festgestellt, dass bestimmte Frauen im entsprechenden Alter viel mehr Kräfte und vielleicht auch einen klareren Blick haben, weil sie andere Dinge gemacht haben. Veronika war klar, dass viel Nachdenken hinter diesem Urteil lag, und sicher auch immer wieder verworfene Entscheidungen. Und er hatte nicht nur darüber geredet, sondern seine Ideen konkretisiert und Louise Jasinski befördert. Er klang fast etwas lächerlich selbstzufrieden deshalb, wie sie meinte, aber sie sagte nichts, ihr war klar, dass es ihn einige Energie gekostet hatte.
Veronika hatte gleichzeitig die aufkeimende Eifersucht unterdrückt. Claes hatte Louise ein paar Mal daheim erwähnt, vielleicht einige Male zu viel. Veronika hoffte, Louise einmal kennen zu lernen.
Als sie den Hörer aufgelegt und sich zu einem leichten Mittagessen hingesetzt hatte, rief ihre Tochter Cecilia an. Sie hatte sich das schnurlose Telefon geholt und lag nun wie ein gestrandeter Wal auf dem Doppelbett in dem inzwischen hell gestrichenen Schlafzimmer.
Cissi, wie sie ihre Tochter immer genannt hatte, brauste gleich auf und erklärte, sie wolle bitte schön nicht mehr so genannt werden, sondern Cecilia, das sei schließlich ihr Taufname. Sie behauptete, das sei der einzige Grund, warum sie anrufe, aber Veronika hörte, dass da noch mehr war, insbesondere, als Cecilia Veronika bat zurückzurufen. Es würde also seine Zeit dauern. Große Telefonrechnungen passten nicht zu einem knappen Studentenstipendium. Besser, wenn Mama bezahlte.
Cecilia studierte in Lund Schwedisch. Nach mehr als einem Semester zur Untermiete hatte sie jetzt ein Zimmer in einem Studentenwohnheim namens Parentesen bekommen. Veronika wollte es sich anzusehen, wenn das Baby erst einmal geboren war. fetzt schaffte sie es nicht, und dafür hatte ihre große Tochter trotz allem Verständnis.
Genau, das Baby ist das Problem, so einfach ist das, dachte Veronika. Vielleicht nicht das Baby und auch nicht Claes, aber alles, was damit zusammenhängt. Babys und ein Mitbewohner der Mutter waren neue Phänomene in der Welt der Tochter, und beide konnten Grund zur Eifersucht bieten, aber da drückte nicht der Schuh. Zumindest nicht nur dort.
Cecilia hatte ihr Elternhaus verloren, und diesen Verlust brachte sie jetzt ohne Umschweife zur Sprache. Sie schoss keine Pfeile auf Veronikas schlechtes Gewissen ab, nein, sie schraubte sie hinein. Langsam und mit Bedacht.
Sie war nicht nur ein Scheidungskind, sie hatte kein Elternhaus mehr!
Kein Zuhause. Keinen Ort, zu dem sie zurückkehren konnte.
Cecilia klang heiser und verbittert. Denn darüber sollte ihre Mutter sich bitte klar sein, dieses Zimmer im Studentenwohnheim konnte man ja wohl kaum als Zuhause betrachten, und dann fing sie wieder von vorn an, immer und immer wieder während die Tränen kamen und die Wut wuchs. Veronika konnte sie nicht bremsen, und Cecilia konnte nicht von allein aufhören.
Veronika spürte, wie ihre Laune langsam schlechter wurde, wie unbeholfen, dick und unmöglich sie doch war, mit Körper und Seele an Cecilia wie auch an das neue Leben mit Claes und dem neuen Kind gekettet. Sie versuchte gar nicht zu unterbrechen, hörte zu, hörte die Worte und versuchte sie von sich fern zu halten, aber die resignierte Stimme der Tochter nagelte sie fest, packte ihr Herz und drückte es, riss und zerrte
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