Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
entkommen war, einer Familie, die nach außen hin ordentlich, sauber und gläubig war, aber hinter der anständigen Fassade zeitweise nicht nur chaotisch, sondern direkt schädlich für ein kleines Kind war. Wie sehr er davon geschädigt worden war, das wollte er gar nicht wissen, er zog es vor, sich so zu akzeptieren, wie er war.
Sein Vater war ganz einfach zu schwach gewesen, zu unbeholfen und nachgiebig, um die zeitweise aufkommenden Ausbrüche seiner Mutter zu meistern. Aber während seiner Kindheit hatte er dennoch immer das Gefühl gehabt, dass sein Vater es nur gut meinte, auch wenn es so schief lief, zumindest hatte er das eine ganze Weile geglaubt. Einen Schutzengel hatten sie als Kinder auch gehabt, auf ganz besondere Weise hielten sie zusammen, und die Schule wurde schließlich zur Rettung. Da konnte sie ihn nicht erreichen. Und später dann die Gemeindetreffen. Dort konnte sie ihn auch nicht erreichen, von dort hielt sie sich fern. Möglicherweise hatte die Mutter ihn manchmal in der Kirche aufgespürt, aber das hatte er inzwischen verdrängt. Wenn auch nicht ganz, seine Wangen wurden immer noch heiß, wenn er daran dachte, was er alles Peinliches hatte erleben müssen.
Er und seine Geschwister waren Spezialisten geworden, die Laune der Mutter zu deuten, an Vorzeichen zu erkennen, ob alles gut und ruhig verlaufen würde oder in bösartige Anklagen und Beschimpfungen umzukippen drohte. Sie waren überhaupt äußerst gut im Deuten von Gemütsstimmungen. Er konnte nicht sagen, wie viele Nächte sie wach in ihren Betten gelegen und darauf gewartet hatten, dass Mutter aufgeben und schlafen gehen würde, dass sie aufhörte zu schreien, zu fluchen und ihren Vater einen Dreckskerl, einen Hurenbock und Teufel zu nennen. Es wurde mit den Jahren besser, die Mutter beruhigte sich, wurde müder, aber wirklich gut wurde es erst, als er seine Siebensachen packte und auszog.
Jetzt lebte sein Vater allein mit ihr, und so sehr sich er und seine Geschwister auch darüber wunderten, es schien gut zu laufen. Aber irgendwie waren die Eltern die verrückten Seiten des anderen gewohnt und fast schon von ihnen abhängig, und jetzt gab es keine Kinder mehr als störenden Faktor. Vielleicht hätten sie sich gar keine Kinder anschaffen sollen, da sie so mit sich selbst beschäftigt waren, die eine in ihrem Egoismus, der andere in seiner übertriebenen Güte. Sein Vater war mitschuldig, weil er nie eingegriffen hatte.
Oft hatte er schon gedacht, was für ein Glück es war, dass er nicht kriminell geworden war, obwohl man das vielleicht nicht automatisch wird, nur weil man so aufwächst. Man konnte nicht sagen, dass er Gefühlskälte ausgesetzt worden war, eher falsch gerichteten Gefühlen. Er war auch nicht verrückt geworden. Er hatte offensichtlich nicht die Veranlagung dazu. Und außerdem war er, wenn es wirklich darauf ankam, zu feige, um kriminell zu werden. Hinzu kam, dass er nicht gerade ein Mensch für Banden war. Keines seiner Geschwister war kriminell geworden, nur ein wenig gestutzt und eingeschüchtert, zumindest sein jüngerer Bruder, der eigentlich nie so richtig Fuß gefasst hatte im Leben, aber er nahm keine Drogen, klaute nicht und trank nicht, soweit er wusste. Er kam zurecht, wie man so sagt, auch wenn Peter Berg manchmal das Gefühl hatte, dass irgendwas mit seinem Bruder nicht stimmte.
Die drei festgenommenen Männer würden bald ein Geständnis ablegen, es war nur noch eine Frage der Zeit. Es würde ihnen nicht gelingen, weiterhin ein geschlossenes Bild zu malen, bald würde einer von ihnen platzen, alles von sich geben, und in dem Moment würde das Kartenhaus zusammenbrechen. Die Polizei hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen, und jetzt sah es ganz übel aus. Einen Menschen zu töten, das ist ein endgültiger Akt, aus dem man sich nicht herauswinden kann.
Er hatte im Krankenhaus angerufen. Erika war noch nicht operiert worden, das würde erst in den nächsten Tagen möglich sein. Sie klang müde und schwerfällig. Fast jämmerlich. Die Schmerzen waren nicht so schlimm, sie hatte etwas dagegen bekommen. Schlimmer war der Hunger, sie bekam nur flüssige Kost, weil sie nicht kauen konnte. Und dann waren da natürlich die gefühlsmäßigen Nachwehen der Misshandlung, aber davon sagte sie kaum etwas. Diverse Untersuchungen standen noch aus, berichtete sie. Man hatte bereits die Gesichtsknochen geröntgt, einiges war kaputt. Sie würde noch einen Kieferchirurgen und einen Augenarzt treffen, denn außer den
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