Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
sonst nichts. Um diese kompakte physische Masse konzentrierte sich die Macht der Welt. Die Waffenmacht.
Sie wollte nicht die andere Wange hinhalten. Sie wollte Johan rächen, und sie wollte sich selbst rächen, das Leben mit ihm, das jetzt verloren war.
Sie hatte die Fähre zurück nach Stockholm genommen, anschließend den Zug nach Hause, genau wie geplant, und während der gesamten Reise war das Wissen um die Waffe, die in ihrer Handtasche lag, präsent gewesen, ab und zu konnte sie nicht an sich halten, sie musste sich einfach strecken und voller Zufriedenheit und Stolz lächeln.
Es waren diese Rotzbengel gewesen, die sie auf den Gedanken gebracht hatten. Sie saßen oft in der Bibliothek und warteten auf den Schulbus, und irgendwie war es richtig nett, sie dort zu haben, eine Gruppe Jugendlicher, die ihre Hausaufgaben machten, in Zeitschriften blätterten und sich ab und zu auch ein Buch ausliehen. Sie hatte einige von ihnen kennen gelernt, nachdem der Lehrer sie dorthin geschickt hatte, um Wissen zu suchen, wie es so schön hieß, und sie wie ein Wespenschwarm in die Bibliothek eingefallen waren, um um Hilfe zu bitten bei der Suche nach Informationen über die Prostitution in Thailand, die Hexenprozesse im 16. Jahrhundert, Massenmörder oder was sie nun als Spezialthema ausgesucht hatten. Meistens brauchten sie Unterstützung bei der Suche im Internet, wobei Lena und die anderen Bibliothekare gern behilflich waren. Zwar hatten sie sich gefragt, wie viele im Prinzip gleiche, gut formulierte Arbeiten über Prostitution in verschiedenen Ländern ein Lehrer wohl hinnahm, aber dafür war er die Schüler für eine Weile auch aus dem Klassenzimmer los.
Aber an diesem Tag hatten die jugendlichen Schüler sich so laut unterhalten, dass sie gezwungen war, sie zur Ruhe zu ermahnen. Einer der anderen Besucher hatte sich beschwert, sonst hätte sie die Rolle als böse Tante, die für Ruhe sorgte, gar nicht übernommen. Außerdem würde der Schulbus jeden Augenblick kommen, und damit wäre das Problem von allein gelöst. Jedenfalls hatte sie aufgeschnappt, worüber sie sich unterhielten, als sie zu ihnen ging. Sie hatte sogar eine ganze Menge mitbekommen, weil sie lange zögerte, sie zu ermahnen und deshalb zunächst gewartet hatte, ob sie sich nicht von allein beruhigen würden. Aber das Gesprächsthema überschritt die Grenzen ihrer Selbstkontrolle. Worüber sie sich da lautstark unterhielten, damit angaben und einander aufheizten, das waren Waffen. Militärwaffen, Maschinenpistolen, Granatenwerfer, Pistolen, Revolver, Todesschüsse, Massaker, Heckenschützen, gedungene Mörder, mit anderen Worten das Sterben in all seinen Formen. Die Oberstufenschüler ließen sich nicht davon beunruhigen, dass heutzutage in Schweden geschossen wurde, eher wurden ihre Stimmen dadurch nur schriller, sie wiegelten sich gegenseitig auf, gaben mit den Waffen von Papa an, dem Jagdgewehr und den Pistolen für den Schützenverein, sie sparten nicht an Blei und Kugeln, breiteten alles langatmig aus, aber wie sie schließlich gegenseitig zugeben mussten, hatte noch keiner von ihnen selbst geschossen. Nur gut, dachte Lena. Die Fantasien und Träume der Rotzbengel von Respekt, davon, dass die Welt in Schrecken zurückwich, der Traum, Untergebene zu haben, die einem die Füße leckten, das war Gott sei Dank nichts, was in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollte, mit größter Wahrscheinlichkeit jedenfalls nicht, und außerdem würden die Jungs auch reifer werden.
Aber träumen kostet ja nichts, dachte sie. Und ihr Traum war es, eine freie Frau zu werden. Frei nach der Abrechnung.
Es gab einen florierenden Waffenmarkt in Schweden, das wussten natürlich auch die Schuljungs. Einige hatten im Fernsehen gesehen, dass die Anzahl gestohlener Militärwaffen, die in Schweden kursierten, gestiegen war. Wenn man keine Kontakte zum Militär hatte und sich nicht traute, in ein Waffengeschäft einzubrechen, dann konnte man einfach ins Baltikum fahren, falls man jemanden umbringen wollte, erklärte einer der Jungs zufrieden. Da eine Waffe kaufen und dann wieder nach Hause fahren, wie er berichtete, und dabei klang er so selbstsicher, wie nur ein sehr junger unerfahrener Bursche klingen kann.
Die Worte setzten sich fest. Warum es nicht versuchen? Was hatte sie denn zu verlieren? Nichts. Absolut nichts. Sie konnte zumindest ausprobieren, ob es möglich wäre, als Deckmantel eine Urlaubsreise zu buchen, um dort dann in aller Ruhe das Terrain zu sondieren. Dann
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