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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Wahlberg
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die hellste Zeit im Jahr, und sie war erst losgefahren, als sie davon ausgehen konnte, dass die meisten inzwischen zu Hause sein würden. Das nordische Julilicht erlaubte ihr zu zielen, obwohl es schon so spät war.
    Sie befestigte markierte Pappscheiben an einem dicken Baumstamm und ging ein paar Meter zurück. Mit einer tiefen Befriedigung holte sie die Waffe aus der Tasche und schraubte den ziemlich plumpen Schalldämpfer auf die Mündung. Ihre Finger schoben unbeholfen das Magazin hinein, und da es nur eine Möglichkeit gab, gelang ihr das problemlos.
    Dann kam das Schießen selbst, das Abfeuern eines Schusses, der dort treffen sollte, wo sie es wollte.
    Sie stellte sich breitbeinig hin, überprüfte ihre Position, entsicherte die Pistole und richtete sie mit gestrecktem rechtem Arm auf die weiße Pappscheibe. Der Zeigefinger lag leicht auf dem Abzug. Die linke Hand hältst du vor die rechte, hatte er in Tallinn gesagt, und mit dem linken Arm hältst du dagegen.
    Ihr Herz begann zu pochen, als sie die Pistole fest packte, dann raste es in Raketentempo los, als ihr plötzlich bewusst wurde, was sie da eigentlich tat, was sie mit dem einen Finger anrichten konnte. Ein kleiner Druck, vielleicht unbeabsichtigt, wenn sie achtlos war, und ein Mensch konnte verletzt oder getötet werden. So etwas passiert, wenn Skrupellosigkeit Macht über den Verstand bekommt, dachte sie. So einfach ist das, und noch viel einfacher, wenn man hasst. Eine kleine Bewegung mit all ihren schicksalsschweren Konsequenzen.
    Sie zielte lange, stand still, hundertprozentig konzentriert und ließ den Abzugsfinger sich langsam krümmen; langsam, so langsam, dass der Lauf seine horizontale Lage behielt, langsam krümmte sie ihn, bis die Kugel ganz plötzlich losschoss und sich im gleichen Moment die Waffe mit einem Rückstoß nach oben bewegte. Niete. Natürlich! Neuer Versuch.
    Ich muss tiefer zielen, dachte sie, da der Rückstoß nach oben geht. Oder sie musste lernen, die Waffe noch besser fest zu halten. Sie wollte treffsicher werden.
    Im alles entscheidenden Moment, wenn sie mit der lebendigen Zielscheibe vor sich dastand, dem Menschen, für den sie sich all diese Mühe machte, dann musste es schnell gehen. Heraus mit der Pistole und direkt abgefeuert. Dann musste sie wissen, was sie tat. Aber dann hätte sie vermutlich einen kürzeren Abstand zu ihrem Ziel, hoffentlich nur ein paar Meter Wenn sie etwas höher traf, machte das nichts, Hauptsache, sie traf. Lobotomie, dachte sie.
    Es ging immer besser, sie gab weniger Fehlschüsse ab. Der Schalldämpfer war effektiv, aber dennoch hörte man etwas, und sie war gezwungen, geizig mit den Kugeln zu sein. Also packte sie alles wieder in den Wagen und holperte langsam in den beiden Treckerspuren zurück, die sich wie zwei Schlangen zwischen den Baumstämmen hindurchwanden.
    Das Sommerlicht war klar, es war fast Nacht, ein Dämmerlicht, das nie wirklich in Dunkelheit übergehen würde. Sie schaute durch die Autoscheibe auf die verzauberte Waldlandschaft und fühlte sich guter Dinge. Sie konnte reagieren – eine Möglichkeit, die den meisten abging.
    Sie fuhr auf die große Straße, und nach fünf Kilometern öffnete sich das Tal, von tanzenden Elfen erfüllt. Weit entfernt reflektierte das Licht der Stadt sich wie ein rosagelber Heiligenschein am Himmel. Ein schöner Anblick.

KAPITEL 14
    Veronika fühlte sich wie eine schlaffe Topfpflanze mit zwei Brüsten. Aber sie hatte noch nicht ganz vergessen, wie es war, in einem Zustand zu leben, in dem die Zeit und die eigene Identität permanent ins Rutschen kamen und sich teilweise ganz auflösten, und dieses Mal meisterte sie es besser. Sie wusste, dass es nicht für ewig so sein würde.
    Die Sommerwochen kamen und gingen mit dem immer gleichen Wetter: tagelang, manchmal wochenlang, eine fast unerträgliche Hitze, die unterbrochen wurde von kurzen, heftigen Entladungen, bei denen der Gewitterregen nur so niederprasselte, Erde und Sand mit sich riss, man lieber zu Hause blieb, die Stecker aus der Steckdose zog, Kerzen anzündete und sich langweilte, solange der Regen wie ein Trommelfeuer aufs Dach prasselte.
    Es war ein Traumsommer, aber nicht für eine Säuglingsmutter. Veronika suchte den Schatten. Sie war eine Milchkuh, mit harten, blau geäderten Brüsten und empfindlichen Brustwarzen wie ausgelutschte Schnuller. Sie trank, schüttete Wasser, Saft, Limonade und ab und zu ein Leichtbier in sich hinein, um die Milchproduktion in Gang zu halten, voller

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