Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Sorge, dass die Milch in dieser Hitze versiegen könnte.
Klara trank gierig und hatte leider – und das konnte man offen sagen, ohne ihr Unrecht zu tun – vierundzwanzig Stunden lang Hunger. Mit anderen Worten: Sie machte keinerlei Unterschied zwischen den Tages- und Nachtzeiten – und wenn sie nicht trank oder schlief, dann jammerte oder weinte sie.
»Schläft sie nachts durch?«
Die übliche, freundliche Frage am Kinderwagen, Zeichen eines gewissen Interesses, »ganz so unter uns, die wir wissen, wie das mit Kleinkindern ist«. Wider besseren Wissens konnte Veronika nicht an sich halten und entgegnete scharf: »Nein, sie hält sich nicht ans Handbuch für Säuglinge.« Und dann ein sicheres Lächeln, trotz der Antwort oder eher gerade deshalb, ein Lächeln voller Müttersicherheit und Optimismus, das versicherte, dass alles schon seinen richtigen Gang gehen würde. Trotz allem!
Warum fragten sie bloß alle nach Klaras Nachtschlaf? Ihre Tochter war eben nicht mustergültig. Sie war ein Schreikind. Sie weigerte sich, nachts zu schlafen, aber sie war trotzdem vollkommen normal.
Klara schrie aus vollem Hals mit einer Lautstärke, von der Veronika nicht mehr wusste, dass der Kehlkopf eines Kleinkindes dazu in der Lage war, und sie musste sich selbst zwingen, in geduldiger Mütterlichkeit zu verharren, wie es schon so viele Frauen vor ihr getan hatten und noch viele nach ihr tun würden: in den Schlaf wiegen, stillen, in den Schlaf wiegen, stillen. Je mehr Durchgänge Klara und sie von diesem ewigkeitsgültigen Projekt durchliefen, umso verzweifelter wurde sie. Es würde nie aufhören.
Klara hatte natürlich Koliken, das war Veronika klar, nachdem sie eine Anzahl mehr oder weniger gefährliche Krankheiten und Anomalien ausgeschlossen hatte. Ihr Bauch wurde zu einem prallen Luftballon von all dem Schmatzen, gierigen Saugen und Luftschlucken. Die Muttermilch schoss herein, kam falsch an und verursachte Krämpfe. Klara schrie, schluckte dabei Luft, die ihren Zustand natürlich nur noch schlimmer machte. Der Teufelskreis war eine Tatsache, aber es nützte nur wenig, den Mechanismus zu erkennen, Veronika konnte trotzdem Klaras Leiden nicht stoppen und ihrer Tochter helfen. Andererseits machte sie sich nicht direkt Sorgen, es war nur einfach anstrengend.
Nur zu gut erinnerte sie sich an die Zeit, als Cecilia noch klein gewesen war – wer vergisst jemals Babyjahre? – und an das Gefühl, ständig im Zwiespalt zwischen der großen Liebe zu dem Kind und verbotenen Gedanken zu schweben. An die noch strenger verbotene Sehnsucht nach der Arbeit, nach stimulierenden Arbeitsaufgaben, Kollegen, an den Wunsch, für sich selbst zu sorgen und nur für sich selbst.
Als Cecilia klein war, war Veronika noch jung gewesen, und sie wollte möglichst alles auf einmal: eine perfekte Mutter sein und in ihrem Beruf weiterkommen. Ein tüchtiges Mädchen. Die ganze Zeit spukte das Bild der guten, allmächtigen Mutter – das Idealbild – in ihrem Kopf herum, aber vielleicht tat es das ja bei allen frisch gebackenen Müttern. Vielleicht trieb es sein Unwesen auch nur in den Köpfen derer, die größere Ambitionen als Kräfte hatten, die ab und zu die Nerven verloren, Geduld und Ausdauer vergaßen, den Trost, die Freude, die Wärme und die Umarmungen, die vom Schlafmangel, dem Schmutz und dem Klammern wie gelähmt wurden. Die das Gefühl hatten, nicht alles zu geben, ihre ganze Person, die ganze Zeit, obwohl sie es doch sollten. Die sich weit weg träumten. Die die Mutterschaft nicht als ihre Identität oder ihren Beruf sahen, sondern sie nur so gut ausfüllten, wie sie konnten.
Und die Väter? Die durften sich morgens davonmachen, schmutziges Geschirr und saure Windeln verlassen, und keiner stellte in Frage, dass die Arbeit den wichtigsten Platz einnahm.
Damals, als sie Schwierigkeiten hatte, ihr Leben zu meistern, hatte sie so gedacht. Die Aggressivität wuchs parallel zur Müdigkeit. Und gerade an diesem Morgen merkte sie, wie der gleiche, wenig produktive, eher sich idiotisch im Kreis drehende Gedankengang sie erneut in Besitz nehmen wollte.
Claes’ Urlaub war vorbei, und er fing wieder an zu arbeiten.
Sie musste das zurückhalten, was da in ihr wuchs und ihr die Kraft raubte, jetzt war doch alles so anders. Sie hatte viele Jahre hindurch gearbeitet, war immer früh aufgestanden, zum Krankenhaus geradelt und erst spät nach Hause gekommen. Die Arbeit lockte nicht mehr so wie früher, es war ja doch im Prinzip immer das Gleiche.
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