Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
würde, welch ein Glück, dass sie normale Hemmschwellen besaß!
Sie bekam fast Angst vor sich selbst.
»Was ist denn?«, fragte Claes und schaute zu ihr hinüber, während er auf der Bettkante saß und monoton Klara, die über seiner Schulter hing, den Rücken klopfte.
Es war Montagmorgen, die letzte Juliwoche, und Claes’ erster Arbeitstag nach seinem Urlaub. Eine Fliege flog surrend gegen das Rollo, Klara wimmerte. Er sieht müde aus, dachte Veronika. Dicke Augen, Bartstoppeln, grau im Gesicht.
Er überreichte ihr Klara, ging zunächst in die Küche und setzte Kaffee auf, dann ging er ins Bad. Sie hörte die Dusche. Sie legte sich die Tochter bäuchlings auf den eigenen Brustkorb, den flaumigen Kopf in der Grube zwischen Hals und Achsel. Die Tochter quengelte, versuchte krampfhaft den Kopf zu heben. Veronika strich ihr über den Schädel, das Geräusch wurde ruhiger und der Atem gleichmäßiger. Sie hoffte, Klara würde einschlafen, und dem war auch so. Jetzt ging es nur darum, sie in ihr Kinderbettchen zu transportieren, ohne dass sie aufwachte. Wenn Klara ein paar Stunden schlief, könnte Veronika es schaffen, in aller Ruhe Kaffee zu trinken und Zeitung zu lesen – ein Bild, das stark wie eine Fata Morgana vor ihrem inneren Auge stand.
Klara meckerte natürlich, als sie gezwungen wurde, Veronikas warmen Brustkorb zu verlassen, der sich im Takt mit ihrem Atem auf und ab bewegt hatte. Sie wollte nicht zwischen die kalten Tücher ihres eigenen Bettes. Schnell wickelte sie Klara mit Claes’ Hilfe in die Decke und rollte sie vorsichtig hin und her. Schließlich schlief sie wieder ein.
»Was für ein Gefühl ist es, zur Arbeit zu gehen?«
Sie schaute ihn über den Küchentisch hinweg an, während er die Zeitung umblätterte, und wusste, dass die Frage unnötig war, denn sie war sich im Klaren darüber, dass er es vermutlich einerseits recht schön fand, wieder in den normalen Rhythmus zu kommen, sich aber nicht traute, das laut auszusprechen.
»Du darfst gern sagen, dass es schön ist«, sagte sie und strich ihm über den Handrücken.
Er schaute sie an. »Nun ja«, nickte er. »Ist schon ganz gut so. Hauptsache, da liegt nicht zu viel Arbeit und wartet auf mich. Sonst bekomme ich noch einen Schock«, lächelte er.
Bevor Claes auf dem Rad davonfuhr, bekam Veronika einen Kuss auf den Mund und die Tochter eine Kusshand. Wir sind wie eine richtige Familie, dachte Veronika. Eine zumindest im Augenblick harmonische kleine Einheit. Eine moderne Familie, etwas zu alt, und mit einem Kind aus einer früheren Beziehung.
Zum Nachmittag hin hatten sich Wolken zusammengezogen, es war heiß und schwül, Insekten surrten um den dunkelblauen Wagen. Veronika hatte das Fliegennetz über den Kinderwagen gespannt, keine Fliege konnte Klara etwas zu Leide tun, die wie ein Stein schlief.
Sie kamen von ihrer Vorstellungsrunde im Krankenhaus zurück und waren beide müde. Außerdem hatte Veronika festgestellt, wie schnell man doch aus einer Rolle in eine andere rutscht. Sie war mit dem Kinderwagen im Fahrstuhl bis zum Operationsbereich gefahren und hatte da im Umkleideraum gesehen, dass ihr Name vom Spind entfernt und ein ihr
vollkommen fremder Name drangeklebt worden war. Vom Verstand her sagte sie sich, dass sie schließlich den Schrank nicht so lange leer stehen lassen konnten, wie sie Mutterhaftsurlaub hatte, aber trotzdem versetzte es ihr einen Stich Es brannte, weil sie sich ausradiert fühlte, und das kam so überraschend.
Eigentlich sind es nur die Familie und die engsten Freunde, die einen nicht gleich abschreiben, wenn man eine Weile nicht zur Verfügung steht, dachte sie. Zwar ist man ja nicht gleich tot, nur weil das Schild ab ist, es kann schließlich wieder rangeschraubt werden, aber im Job kann man schnell vergessen werden. Nur gut, wenn einem das bewusst ist, sagte sie sich selbst.
Ein warmer Windhauch durchwehte den Garten. Die Pforte quietschte, sie schob den Wagen hinein und schloss sie wieder. Die hellroten Buschrosen auf beiden Seiten der Haustür blühten immer noch, eine genügsame, schöne Sorte. Da bestand nur wenig Gefahr, dass sie vom Mehltau befallen wurden.
Sie schaute zum Himmel hinauf. Der Horizont war blauschwarz, ein Regenbogen spannte sich über das Gewölbe. Es war lange her, seit sie einen so kräftigen Regenbogen gesehen hatte. Im Moment war es windstill, aber es konnte jeden Augenblick anfangen zu regnen, und dann würde auch der Wind aufkommen, sie musste den Wagen hineinnehmen und
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