Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
äußerlich. Elle war extrem kräftig und was ihre Bewegungen und ihr Temperament anging fast explosiv. Die blasse Frau im Bett erweckte einen ganz anderen Eindruck.
Veronika spürte förmlich die Missbilligung des Ehemanns hinter ihr. Er holte tief Luft und atmete aus, kräftig und langsam wie ein Drache. Vermutlich wollte er ihr zu verstehen geben, dass ihm bald der Geduldsfaden riss.
Im Krankenzimmer war es stickig. Veronika schaute hoch und erhaschte einen Blick auf den weißblauen Himmel durch das Fenster. Einige Birken schienen ihr mit ihrem gelblichen Laub zuzuwinken.
Sie sehnte sich nach Hause. Plötzlich überfiel sie eine enorme Müdigkeit, die sie förmlich niederdrückte.
Sie drehte sich zu Harald Eriksson um und blickte ihm in die Augen.
»Wie geht es Ihnen?«
Er sah sie finster an und beugte sich zu seiner Frau, die jetzt zu schlafen schien. Er schien Angst zu haben. Seine Schultern waren gebeugt, und sein Kopf schien von seinem eigenen Gewicht nach unten gezogen zu werden. Er umklammerte die Finger seiner Frau, allerdings in einer rührend behutsamen Geste, da eine Kanüle in ihrem Handrücken steckte.
»Ich dachte, wir könnten uns ein wenig über das Vorgefallene unterhalten«, sagte Veronika.
Er leckte sich über die Lippen und ließ zögernd die Hand seiner Frau los, als wagte er es nicht, sie allein zu lassen. Dann folgte er Veronika auf den Gang und in dasselbe Zimmer, in dem sie bereits am frühen Morgen gesessen hatten.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte sie erneut.
Auch jetzt antwortete er nicht. Sie hatten beide in lachsrosa Sesselchen Platz genommen, die vor fünfzehn fahren modern gewesen waren, als in den öffentlichen Bereichen alles pastellfarben gewesen war.
Schließlich zuckte Harald Eriksson mit den Schultern. Irgendetwas in seinem Gesicht ließ Veronika zurückweichen. Er ließ deutlich erkennen, dass er ein Mann war, der wusste, was er wollte. Seine Haltung verriet Einfluss und Autorität. Sein Blick verriet eine kritische Gesinnung, was Veronika unter Druck setzte.
Also bemühte sie sich um ein korrektes Auftreten. Sie versuchte, ihre Stimme zu dämpfen und zu beherrschen, um sich nicht zu verhaspeln. Sie spürte ihre Nervosität und wünschte sich einen Augenblick lang mehr natürliche Autorität in Form eines imposanten Schnurrbarts, eines Bierbauchs, der Mitgliedschaft im selben Golfclub oder, wieso nicht sogar, in derselben Jagdgesellschaft wie er. Das hätte ihr ihre Aufgabe ungemein erleichtert.
Sie erzählte, dass sie über die genauen Umstände, wie es zu der Schussverletzung gekommen war, nichts wusste und dass es sie auch nichts anging. Dem ernsthaften Mann gegenüber betonte sie, viele Faktoren sprächen für eine positive Prognose. Das meiste deute darauf hin, dass seine Gattin vollkommen wiederhergestellt werden würde.
»Im Großen und Ganzen«, meinte sie.
»Was meinen Sie damit?«, erwiderte er.
Sie sah ihn ratlos an.
»Sie haben doch ›im Großen und Ganzen‹ gesagt. Wird sie denn nicht vollkommen wiederhergestellt werden?«
Veronika schluckte.
»Doch, sie wird vollkommen genesen«, antwortete sie ruhig, »wenn nicht unerwartete Komplikationen auftreten.«
»Wie zum Beispiel?«, sagte er scharf.
»Nach Operationen kann es immer zu Komplikationen durch Infektionen kommen. Unter anderem … aber wir wollen hoffen, dass uns das erspart bleibt.«
Er starrte sie durchdringend an. Er wollte es genau wissen.
»Manchmal dauert es eine Weile, bis die Verdauung wieder funktioniert. Heutzutage dürfen die Patienten sofort nach der Operation wieder trinken und flüssige Nahrung zu sich nehmen. Nach ein paar Tagen beginnen sie dann auch mit fester Kost. Dadurch kommt die Darmtätigkeit wieder in Gang, und das ist gut.«
Er schien diese Antwort zu akzeptieren. Veronika war froh, dass sie ihm etwas Positives mitteilen konnte. Sehr oft hatte sie Nachrichten ganz anderer Art zu überbringen, und das zehrte an ihr.
Die ganze Zeit machten ihr ihre eigenen Erfahrungen zu schaffen. Sie hätte ihn damit trösten wollen, dass das Leben weiterging, selbst wenn der Täter nie gefasst wurde.
Es ist nicht einfach, aber es geht dann doch. Ich weiß das.
Natürlich sprach sie diese Worte nicht aus. Genauso wenig erzählte sie, dass sie in einem ähnlichen Zimmer gesessen und sich von einem optimistischen und freundlichen Arzt hatte anhören müssen, was man mit Cecilias malträtiertem Schädel unternommen hatte. Der Arzt, eine Koryphäe, hatte ihr eine positive
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