Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Zukunftsvision präsentiert, genau wie sie das jetzt auch tat. Sie war ihm dankbar gewesen, dass er ihr nicht mehr abverlangt hatte, weil sie selbst Ärztin war. Sie durfte eine Mutter sein, deren Leben in jenem Augenblick total aus den Fugen geraten war. Das hatte eine große Erleichterung bedeutet. Ihre medizinischen Kenntnisse hatten sie eher behindert, als dass sie ihr weitergeholfen hätten, und das war auch diesem Arzt bewusst gewesen. Sie selbst hatte natürlich genau gewusst, wo die wirklich großen Probleme lagen.
Eine ungeduldige Bewegung des Ehemannes weckte sie aus ihren Grübeleien.
»Ich frage mich, wann die Polizei mit ihr sprechen will. Es ist schließlich wichtig, dass sie nicht die falschen Antworten gibt und dass sie keine Schmerzen hat oder unter dem Einfluss von Medikamenten steht.«
»Die Wirkung der Schmerzmittel klingt bald ab«, meinte Veronika.
»Aber wäre es nicht das Beste, wenn sie sich erst etwas erholt?«
»Ich weiß natürlich nicht genau, wann die Polizei mit ihr reden will. Vielleicht heute noch nicht, schließlich ist sie frisch operiert, aber …«
Unzufrieden rutschte er hin und her.
»Ich bin schließlich ihr nächster Angehöriger, ich kenne sie am besten. Und ich finde, dass sie sich erst einmal etwas erholen, dass sie erst wieder zu Kräften kommen muss.«
Ich, ich, ich, hörte Veronika ihn immer nur sagen wie einen trotzigen Dreijährigen oder wie jemanden, der es gewohnt war zu entscheiden und keinen Widerstand duldete.
Seine Erschöpfung war ihm anzusehen. Konnte sie es wagen, ihm vorzuschlagen, nach Hause zu fahren und sich auszuruhen?
Er sah sie forschend an.
»Jedenfalls erwarte ich, dass Sie sie …«
Er überlegte.
»… während der nächsten vierundzwanzig Stunden noch nicht behelligen«, sagte er schließlich.
Nun hatten die Verhandlungen also begonnen. Veronika kam die Situation etwas absurd vor. Alles wurde offenbar über den Kopf seiner Frau hinweg entschieden. Exakte Fristen, was menschliche Phänomene anging, stellten außerdem im Prinzip eine Unmöglichkeit dar.
Dies teilte sie ihm auch mit ruhiger und fester Stimme mit.
»Aber wir sorgen natürlich dafür, dass Sie dabei sind, wenn wir uns eingehender mit ihr unterhalten. Ich habe Ihrer Frau bereits gesagt, dass auf sie geschossen worden ist und dass man sie operiert hat, aber ich weiß nicht, wie viel sie davon wirklich verstanden hat. Ihre Frau wird früher oder später von sich aus Fragen stellen. Dann wird sie ohnehin das eine oder andere hören, möglicherweise nur gerüchteweise. Es wird eine polizeiliche Vernehmung geben. Das ist alles unvermeidlich. Dafür kann ich Ihnen allerdings im Augenblick noch keinen Zeitrahmen nennen.«
Er schien zu überlegen, ob er ihr Angebot annehmen sollte. Veronika war sehr müde. Sie sehnte sich nach Hause. Der Ehemann seufzte noch einmal tief, aber dieses Mal eher besorgt. Dann hob er die Hände und rieb sich das Gesicht.
Der Ärmste. Er tat ihr leid.
»Ich will nur, dass sie die bestmögliche Pflege erhält«, sagte er mit belegter Stimme.
»Das versteht sich! Das wollen wir auch.«
»Sie dürfen sie nicht verlegen, bevor es ihr wieder gut geht.«
Er klang verletzlich und besorgt, nicht wie der befehlsgewohnte Direktor.
»Man hört immer wieder von Patienten, die die Intensivstation verlassen müssen, weil die Kapazität dort zu gering ist«, fuhr er fort. »So etwas würde ich nicht akzeptieren.«
Jetzt war er wieder sein offizielles Ich.
Veronika nickte. Gleichzeitig merkte sie, wie sie errötete.
»Sie wird einen oder ein paar Tage hierbleiben«, erwiderte sie. »Hier erhält sie die beste Pflege. Wir verlegen sie nicht, bevor es dafür an der Zeit ist. Dafür sorge ich schon.«
Mit dieser Antwort schien er sich zufriedenzugeben.
»Darf ich noch eine Frage stellen?«, fuhr sie fort. »Haben Sie keine Kinder, die zu Hause auf sie warten?«
»Nein«, antwortete er kurz angebunden.
Sie meinte, ein leider in dem Wort mitschwingen zu hören.
Kriminalinspektorin Louise Jasinski lag zusammengekrümmt da und bemitleidete sich selbst.
Sie bewegte sich nicht, fröstelte, und nur ihre Nasenspitze schaute unter der Decke hervor. Sie versuchte einzuschlafen, aber ihr Magen rumorte und wollte einfach keine Ruhe geben. Brechdurchfall, wie er im Winter gehäuft auftrat, konnte es zumindest nicht sein, denn es war erst Oktober.
Sie befürchtete, sich bald übergeben zu müssen. Sie gehörte zu den Leuten, die Übelkeit verabscheuten. Dann schon
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