Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
Birgitta und die Kinder am nächsten Tag nach Istanbul fahren würden. Eigentlich wäre auch sie gerne mit nach Istanbul gekommen, aber das kam natürlich nicht in Frage. Carl-Ivar war fast so etwas wie ein Vater für sie gewesen. Eine etwas geistesabwesende, aber verlässliche Person im Hintergrund.
Sie starrte aus dem Fenster. Obwohl es keine Veranlassung dazu gab, hatte sie irgendwie das Gefühl, gegen ihren Willen in etwas reingezogen worden zu sein. Sie fühlte sich schuldig wie so oft als Kind. Sie hatte viel daran gearbeitet, diese Gefühle zu überwinden. Alles war nicht immer ihre Schuld. So zu denken war sehr egozentrisch.
Aber jetzt verfiel sie wieder in diese Denkmuster. Sie hörte die Ermahnung ihrer Mutter: »Du weißt, dass deine Mama das nicht verkraftet, Annelie. Warum machst du das denn?«
Eigentlich war es meistens ihre Mutter selbst gewesen. Manchmal natürlich auch Annelie, sie hatte vielleicht ein Glas fallen lassen oder auf dem Heimweg von der Schule vergessen einzukaufen. Dann verbiss sich ihre Mutter förmlich in ihr und begann, auf ihr herumzuhacken. Sie war nicht mehr zu bremsen. Solange sie nüchtern war natürlich nur. Es gab keinen Aus-Knopf. War sie blau, dann schimpfte sie, bis sie einschlief.
Annelie hatte in ihrer Kindheit sehr viel Zeit damit zugebracht, darüber nachzudenken, was wohl schlimmer war. Ihre Mutter betrunken wie eine Strandhaubitze zu ertragen, wie es der Nachbar ein Stockwerk darunter auszudrücken pflegte, oder wenn sie nüchtern und wütend war. Ausgeschimpft wurde sie in beiden Fällen. Für das, was sie angestellt hatte, und für das, was ihre Mutter getan oder versäumt hatte. Wäsche waschen, Einkaufen und Kochen beispielsweise. Was andere Mütter taten. Ihre nicht. Nur manchmal.
Immer öfter beschlich sie das Gefühl, dass Christoffer ihrer Mutter in manchen Dingen ähnlich war. Er klagte über die Ausgaben oder warf ihr vor, zu langsam zu sein. Sie solle sich zusammennehmen. »Es ist aufreibend, sich um alles alleine kümmern zu müssen. Das Finanzielle und alles.« Er sah sie so verzweifelt an, als könnte sie plötzlich Geld aus dem Hut zaubern.
Er schien es aber auch zu genießen. Wer Geld hatte, hatte Macht, so einfach war das. Er konnte mit dem Geld machen, was er wollte, und sie hatte nicht das Recht, ihn zu fragen, warum er einen neuen Computer gekauft hatte. Aber er nahm sich das Recht heraus, sie zu fragen, sobald sie nur eine Einkaufstüte in der Hand hielt. Auch wenn es nur eine von H&M war und sie die Sachen mit dem Geld bezahlte, das sie im Teppichgeschäft verdiente. »War das wirklich nötig?«, meinte er dann kritisch. »Du weißt, dass wir sparen müssen.«
Er behandelte sie wie ein Kind.
Das geht dich einen Dreck an, hätte sie gerne zu ihm gesagt, aber sie schwieg. Genau wie damals bei Mama. Keine Statistik der Welt konnte ihr weismachen, dass Widerspruch lohnte. Alles wurde dadurch nur schlimmer.
Carl-Ivar.
Sie war davon überzeugt, dass sich vor ihren Augen etwas abspielte, das sie einfach nicht zur Kenntnis nahm. Ein Gefühl von einer verborgenen Strömung, von Unwahrheiten oder Heimlichtuerei beschlich sie. Geheimnisse. Aber worüber? Sie wünschte sich, zum Telefon greifen zu können und der Polizei etwas mitteilen zu können.
Das Dunkle, das in ihr rumorte, hatte nicht nur mit Carl-Ivars Tod zu tun, das wusste sie. Ihr eigenes Leben war ins Wanken geraten, aber das wollte sie noch nicht wahrhaben. Praktischerweise war Carl-Ivars tragischer Tod dazwischengekommen, und der hatte sie abgelenkt.
Was hielt er vor ihr geheim?
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, denn die Tür ging auf. Magnus Öberg stand vor ihr.
Sie lächelte erstaunt.
»Hallo«, rief er munter wie immer. »Lotta und ich sind bei Birgitta. Die Kinder sind in Stockholm bei meinen Eltern. Wir fahren morgen Nachmittag nach Istanbul. Ich wollte nur rasch vorbeischauen …«
Sie hatte ihn seit Ostern nicht mehr gesehen. Da war er mit Lotta und den Kindern in Oskarshamn gewesen. Magnus besuchte seinen Schwiegervater im Teppichgeschäft, aber da hatte sie kaum eine Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten. Carl-Ivar hatte ihn damals vollkommen mit Beschlag belegt.
Sie fand es irgendwie rührend, wie wichtig es Carl-Ivar gewesen war, sich bei seinem außergewöhnlichen Schwiegersohn aus Stockholm ins rechte Licht zu rücken. Das hat er doch nicht nötig, dachte sie. Dazu sollte er sich zu schade sein.
»Aber hallo«, sagte sie jetzt und gab Magnus eine flüchtige
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