Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
Türkei. Es war aber fast immer dieselbe Stimme gewesen. Eine Frauenstimme. Vielleicht eine Sekretärin.
Carl-Ivar bat stets auf Englisch darum, zurückrufen zu dürfen. Dann teilte er Annelie mit, er wollte noch eine Besorgung machen, und verließ den Laden.
Vermutlich ging er nur um die Ecke und rief zurück. Oder er setzte sich in seinen Wagen. Sie sah ihn einmal mit seinem Handy in seinem Auto sitzen. Er wirkte damals recht aufgebracht.
Die Polizei würde alle Gespräche überprüfen, die vom Teppichgeschäft, von Carl-Ivars Haus im Holmhällevägen und von seinem Handy aus geführt worden waren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis alle Listen vorlagen, hatte sie sich sagen lassen. Carl-Ivar hatte ein normales Handy ohne Prepaidkarte besessen, seine Gespräche ließen sich also zurückverfolgen.
Schon allein dieser Umstand deutete darauf hin, dass er nicht in kriminelle Machenschaften verwickelt war, meinte Christoffer. Die Abgebrühten hatten Prepaidhandys, die sie nach jedem Ding, das sie drehten, sofort wegwarfen.
Sie hatte ihre Mutter angerufen, um ihr von Carl-Ivars Tod zu erzählen, doch ihre Mutter hatte wie immer nur von ihren eigenen Problemen geredet. Annelie wunderte das nicht, aber trotzdem ärgerte sie sich, obwohl sie wusste, dass das reine Zeitverschwendung war.
Wie immer erging sich ihre Mutter darin, sie habe kein Geld, obwohl sie sich ihr ganzes Leben lang abgerackert habe, dass es ihr überall wehtue und dass ihr ihre Zähne ausfielen. Sie flehte Annelie an, nach Hause zu kommen und ihr zu helfen oder wenigstens den Zahnarzt bezahlen, wo sie doch mit einem Arzt verheiratet sei und in gesicherten Verhältnissen lebe.
»Das ist das Mindeste, was man von einer Tochter erwarten kann. So viel, wie ich mich um dich gekümmert habe«, sagte sie mit ihrer Rotweinstimme.
»Aber, Mama, kapierst du denn nicht, was ich sage!«, schrie sie schließlich.
»Bitte?«
Sie klang wie ein unschuldiges Kind.
»Dein kleiner Bruder ist tot! Begreifst du das nicht? Carl-Ivar ist ermordet worden.«
»Ja, ja, schlimm!«
Annelie hatte immer noch die Atemzüge ihrer Mutter am anderen Ende der Telefonleitung in den Ohren. Vermutlich wollte sie das ganz einfach nicht begreifen. Sie vertrug es nicht, wenn die Wirklichkeit zu ihr durchdrang. Sie hatte nicht die Kraft, sich mit anderen Menschen zu befassen, und war auf ewig in ihrem eigenen Unglück gefangen. Sie war in vieler Hinsicht ein Opfer, aber das war auch keine Rechtfertigung.
»Mein geliebter Bruder«, brachte ihre Mutter schließlich über die Lippen. »Keiner auf Erden war so gut wie er! Ist das wirklich wahr?«
»Ja, allerdings.«
»Carl-Ivar, er war doch die Gutheit in Person … meine Annelie, sag, dass das nicht wahr ist!«
»Mama, es steht in allen Zeitungen …«
»Carl-Ivar, mein geliebter Bruder! Was soll ich nur ohne ihn tun? Meine Annelie! Du weißt, dass sich deine kleine Mama immer nach dir sehnt. Du musst nach Hause kommen, jetzt, wo mir etwas so Schreckliches widerfahren ist. Mein geliiiebter Bruder ist tot …«
Annelie fühlte Eiseskälte in sich aufsteigen. Sie weigerte sich, am Küchentisch ihrer Mutter mit dem übervollen Aschenbecher zu sitzen und ihr beim Jammern zuzuhören. Dass sie sich ihre drei Schachteln Zigaretten am Tag nicht leisten konnte. Und jetzt brauchte sie sicher noch mehr, weil Carl-Ivar gestorben war. Ihr geliebter Bruder! Das war ja ganz was Neues.
Annelie hatte ein schlechtes Gewissen, nachdem sie aufgelegt hatte. Natürlich war das ein großer Verlust für ihre Mutter. Irgendwie hatten Bruder und Schwester immer zusammengehalten, wenn auch eher im Verborgenen.
Sie ging nach unten und hielt ihr Gesicht unter laufendes kaltes Wasser. Als die Glocke an der Ladentür klingelte, putzte sie sich rasch die Nase und ging die Treppe hoch. Noch ehe sie oben war, hörte sie die Ladentürglocke erneut.
Meine Güte, wie ungeduldig manche Leute sind.
Sie eilte erst an das eine Schaufenster, dann an das andere, um zu sehen, ob es ein Kunde war, den sie kannte. Vielleicht konnte sie ihm noch hinterher rufen und sich entschuldigen.
Aber der Bürgersteig war menschenleer mit Ausnahme eines jungen Paares mit weiten Kleidern und gefärbten Dreadlocks. Diese beiden waren mit Sicherheit nicht im Teppichgeschäft gewesen.
Sie drehte sich um und wollte gerade das Radio leiser drehen, da bemerkte sie, dass der Teppich, den sie noch auspacken wollte, verschwunden war.
Suchend sah sie sich im Laden um. Sie hatte den
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