Lupus - Ankunft der Woelfe
der Küche zog sie sich einen Kaffee am Vollautomaten. Mit der Tasse in der einen Hand und dem Zuckertopf in der anderen ging sie zum Schreibtisch.
Die Synchronstimme des Helden aus dem Hollywoodfilm Mutanten-Jagd begrüßte sie mit der Information, dass 238 ungelesene Nachrichten in ihrem Postfach lagen. Der Held teilte ihr mit, dass sie auf Facebook wichtige Infos verpasst hätte.
Während Eva in dem heißen Getränk rührte, las sie die fertigen Obduktionsberichte über die drei ermordeten Frauen. Professor Steinmeier hatte die brutalen Taten inzwischen umfassend rekonstruiert.
Mit spitz gefeilten Krallen an der rechten Hand hatte Brian Eden tiefe, aber nicht tödliche Wunden in seine Opfer gerissen. Den geschockten Frauen war jedoch keinerlei Zeit zur Gegenwehr geblieben, denn zugleich hatte er in der linken Hand ein Skalpell gehalten und sie damit zerstückelt. Offenbar mit der übermenschlichen Kraft eines Wahnsinnigen. Diese Hiebe waren tödlich gewesen. Alle Opfer hatte er gebissen und von ihnen gegessen. Postmortal. Die meisten Stücke fehlten von Opfer Nummer zwei.
Bei dem Gedanken an den erlittenen Horror begann Evas Herz, wie wild zu rasen. Sie wischte sich die schweißnassen Hände am Hosenbein ab. Beinahe hätte diese Bestie auch sie umgebracht. Wenn Cube nicht gewesen wäre, dann …
Sie grübelte. Cube hatte ihr gestern auf ungewohnt einsilbige Art erzählt, dass Becker verschwunden war. Dennoch hatte die Polizei den Personenschutz für sie aufgehoben. Becker galt nicht als gefährlich. Eher nahm man an, er sei ein Opfer. Für Eva war jedoch eines gewiss: Sie konnte den Mann nicht leiden. Alleine bei dem Gedanken an seine Versuche drehte sich ihr der Magen um. Er hatte an lebenden Gehirnteilen geforscht. Für seine ekelhaften Tests hielt er sich Rotkehlanolis. Eine kleine Echsenart mit einer besonderen Fähigkeit: Die aus dem Gehirn herausgeschnittene Epiphyse überlebte in einer Nährlösung bis zu zehn Tage.
Nur zu gut erinnerte sich Eva an den Tag, als sie ahnungslos in seinem Labor erschienen war.
»Mein Gott, die süßen Tierchen!«, hatte sie entsetzt ausgerufen.
»Nicht so zimperlich, Frau Palmer! Selbstverständlich gehört auch die Forschung an Anolis carolinensis in mein Fachgebiet«, hatte er gesagt und sie ausgelacht. »Forschung an lebendem Gehirngewebe – diese Möglichkeiten lasse ich mir doch nicht entgehen. Wenn Sie ein Problem damit haben, sollten Sie Ihre Entscheidung, Ärztin zu werden, noch einmal gründlich überdenken!«
Noch schlimmer als sein überhebliches Lachen empfand sie jedoch den eiskalten Glanz in seinen Augen. Einfach widerlich. Sie war vor ihm zurückgewichen und hatte den Raum fluchtartig verlassen. Seither versuchte sie, Becker aus dem Weg zu gehen.
Eva griff sich an den Magen. Sie konnte die Übelkeit nicht länger unterdrücken und rannte ins Bad.
*
Routinemäßig warf Eva einen Blick in den Spam-Ordner. Ihr Blick fiel auf den Laborbericht über die nackte Chimären-Maus mit dem Ohr am Rücken. Die Nachricht war vor zwei Tagen angekommen.
»Himmel, Herrgott!«, fluchte sie. Seit sie den Telekommunikationsanbieter gewechselt hatte, landeten die wichtigsten Sachen im Spam-Ordner und die Werbung im privaten Mail-Account.
Sie fasste sich an den Magen. Er schmerzte. Vielleicht hatte sie sich doch zu viel zugemutet und hätte besser einen Wellnesstag einlegen sollen.
»Du brauchst jetzt positive Erlebnisse, um zu vergessen«, hatte Hermine gesagt.
Und wenn das nicht reichte? Bisher hatte Eva die Gedanken an die traumatische Gefangenschaft erfolgreich durch Ablenkung verdrängt.
Dann eben keinen Kaffee mehr!
Während das Teewasser kochte, putzte sie sich die Zähne und schluckte zwei Tabletten. Eine gegen Kopfschmerzen und eine zur Beruhigung ihrer angegriffenen Nerven.
Sie holte sich einen Becher Kamillentee aus der Küche. Zurück am Computer öffnete sie das Gutachten und begann zu lesen.
Hastig stellte sie die Tasse ab und überflog den Absatz noch einmal. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Die Kollegen hatten alles zweimal geprüft. Ein Irrtum konnte nicht vorliegen.
Während Eva über das Gutachten grübelte, klingelte es an der Tür. Sie blickte auf die Uhr. Mal wieder war der Vormittag nur so verflogen.
»Hallo Eva«, meldete sich eine tiefe Stimme über die Sprechanlage.
»Komm rauf!« Sie drückte den Türsummer und hastete ins Bad. Dort zog sie in aller Eile den Lippenstift nach und zupfte ihre Locken in Form. Dann
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