Lupus - Ankunft der Woelfe
erneut die Nummer der chirurgischen Abteilung an der Charité.
16
Rechtsmedizin, Montagfrüh, 8:30 Uhr
D as Oberlicht leuchtete den Raum schattenlos aus, sodass die dunklen Fugen zwischen den weißen Kacheln wie Buchstaben auf Papier hervortraten. Eva sah sich zufrieden um. Das war also ihr neuer Arbeitsplatz. Der Innenarchitekt hatte Humor bewiesen. Die drei roten Kachelbänder an den Wänden erstrahlten in der Farbe von frischem Blut.
Die seit heute offizielle Rechtsmedizinerin der Charité schaltete ihr Smartphone ab und steckte es in die Brusttasche ihres blauen Overalls.
»Ihr Vater ist dienstlich im Hause unterwegs. Kann ich ihm etwas ausrichten?«, hatte seine Sekretärin gefragt. Im ersten Moment war Eva erleichtert gewesen. Doch nun kehrte ein mulmiges Gefühl zurück, denn sie hatte das Gespräch über ihren Stellenwechsel noch vor sich.
Sie schob den hellblauen Mundschutz hoch, zog die Handschuhe über und drehte sich zu der Wasserleiche, die man heute Morgen aus dem eiskalten Waldsee gefischt hatte. Der Körper der Toten schimmerte grünlich verfärbt und war aufgedunsen. Die Leiche zeigte keine äußerlichen Spuren von Gewalteinwirkung. Eva hob das Mikrofon an den Mund und drückte den Knopf für Aufnahme: »Weiblich, schulterlange schwarze Haare, Körpergröße: eins zweiundsechzig, Gewicht: fünfzig Kilo, vermutlich Asiatin.«
Erst die Lungen würden offenbaren, ob die Frau tatsächlich ertrunken war. Vorsichtig hob Eva eine Hand und betrachtete sie. Die Haut an den Fingerspitzen hatte sich gelöst, die Nägel fehlten, ein glitschig-grüner Algenfilm überwucherte die Innenfläche. Es war schwer zu schätzen, wie viele Tage der Körper im Wasser gelegen hatte. Genaueres würde gleich die Obduktion ergeben.
Das Aufnahmegerät blinkte rot. Eva blickte sich suchend um. Wo lagen die Akkus? Sie trat an die Schränke mit der grünen Glasfront und suchte die Fächer ab. Doch sie fand nur Mundschutz, Kittel, Handschuhe, Desinfektionsmittel und Kunststofffolien. Zu dumm, wo steckten die blöden Batterien?
Ratlos blickte sie sich um. Neben der Liege stand ein Schreibtisch. Darunter war ein Rollcontainer geschoben. Sie zog die Schubladen auf, fand Schachteln, Stifte, Ladekabel, Papier, eine riesige Schere und endlich das, wonach sie suchte.
Mit Hilfe einer Büroklammer öffnete sie die schmale Plastikklappe, wechselte die Akkus und setzte ihre Arbeit fort. Nachdem sie die Tote registriert hatte, schob sie die Liege durch den Gang zum Kühlhaus.
Dort lehnte sie sich an die Kacheln. Sie musste ihren Vater anrufen, bevor er selbst herausfand, dass sie schon wieder die Stelle gewechselt hatte. Sie seufzte, trotz all seiner Beziehungen hatte er nichts bemerkt. Zum Glück, denn sonst hätte er gewiss dafür gesorgt, dass Steinmeier sein Angebot zurückzieht.
Erneut ging sie in den Waschraum. Sie zerrte die Silikonhandschuhe herunter, wusch und desinfizierte sich die Hände und nahm den Mundschutz ab. Dann zog sie das Mobilgerät aus der Tasche, wählte und wartete.
»Kann ich mit dir reden?«
»Wann wolltest du es mir sagen«, schnaubte er an ihrem Ohr. Sie hielt das Mobilgerät auf Abstand.
»Ich sage es dir doch jetzt.«
»Vorher, Eva, v-o-r-h-e-r wäre wohl angebracht gewesen.«
»Es ist mein Leben. Ich entscheide, wo ich arbeite.«
»Ich werde es rückgängig machen. Und wenn es das Letzte ist, was …«
Wütend drückte sie die Verbindung weg. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Scheiße. Es ist einfach nicht möglich, normal mit dir zu reden«, fluchte sie.
Dann rieb sie sich Tränen und Zorn aus dem Gesicht und blickte auf ihre To-do-Liste. Zwei Leichen mussten dringend in den Obduktionsraum. Die studentischen Praktikanten warteten längst. Sie klatschte sich kaltes Wasser auf die Wangen, doch ihre Gedanken wollten sich noch nicht beruhigen. Ihr Vater schaffte es immer wieder, sie aus der Fassung zu bringen. Genau das war einer der Gründe, warum sie nicht an seiner Seite in seiner heiligen Privatklinik arbeiten wollte, in der er sich wie ein Gott aufführte. Sie schüttelte den Kopf. Jeder weitere Gedanke war jetzt zu viel. Sie hatte zu arbeiten. Immerhin hatte ihre Probezeit heute erst begonnen.
Entschlossen verließ sie den Waschraum, zog frische Handschuhe aus dem Materialschrank und ging in den Nebenraum; ebenfalls ein Kühlraum, in dem die Stahlwannen mit den Toten in einem offenen Regalsystem auf vier Etagen lagerten. Die digitalen Etiketten an den Zehen blinkten. Sie zog die Wanne
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