Lupus - Ankunft der Woelfe
»Die Proben gehen in die Abteilung für die Chimären-Analysen. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, es wird Wochen dauern, bis die Ergebnisse da sind, die haben im Moment Personalmangel und sind mit Aufträgen total überlastet. Für eine alte Labormaus haben die keine Zeit. Das Tier kann hier lagern, falls wir weitere Analysen machen müssen.«
Der Ermittler nickte. »Danke, trotzdem.«
Eva packte die Maus in eine Plastikschale, verschloss sie, beschriftete sie vorschriftsmäßig und stellte sie ins Kühlfach. Weitere Untersuchungen wären nötig, um Medikamentenrückstände nachzuweisen und um das Alter des Exponats zu bestimmen. Sie hatte selbstverständlich einen Verdacht, aber das müsste sie erst überprüfen.
Die Kühlschranktür schloss sich mit dumpfem Klack, und Cube fragte, ob sie das Thema Labormaus bei einem späten Mittagessen vertiefen könnten. Evas Herz machte einen Sprung. Sie schaute auf die Uhr, 14:30 Uhr. Die Kollegen hatten sicher längst ohne sie gegessen. Sie würden nicht mitbekommen, mit welch attraktivem Mann sie dort erschien. Auch Steinmeier würde nichts bemerken.
»Die Kantine schließt in fünfzehn Minuten. Wir müssen uns beeilen. Länger habe ich heute keine Zeit. Also, wenn Sie keine großen Ansprüche an das Menü stellen, können Sie mich sehr gerne begleiten.« Sie lächelte.
Kurz darauf kauften sie im letzten Moment ein paar Frühlingsrollen, bevor ihnen die Dame an der Essensausgabe lange Blicke zuwarf und dann das silberne Rollo mit lautem Krachen hinuntersausen ließ.
Cube stellte seinen Teller ab und schob ihr den Stuhl hin. Wie süß. Manieren hat er, schoss es Eva durch den Kopf. Sie setzte sich, unterdrückte ein verräterisches Lächeln und faltete die Papierserviette umständlich auseinander.
Der Ermittler lächelte. »Heute Morgen wollten Sie mich noch rauswerfen, und nun gehen wir zusammen essen. Na, das nenne ich einen Fortschritt.«
»Wir sitzen hier rein dienstlich, wenn ich das mal festhalten darf«, sagte Eva trotzig. »Und, ich hoffe, ich verderbe Ihnen nicht den Appetit, wenn ich gleich mit der Ohr-Maus loslege.«
Cube nippte am Orangensaft und stellte das Glas ab. »Nein, Frau Doktor, mich erschüttert so schnell nichts.«
Sie betrachtete nachdenklich sein kantiges Gesicht. Seine Augen wirkten wie am Morgen noch immer traurig. Was er sagte, passte irgendwie nicht zu dem, was er ausstrahlte. Ging es ihm etwa ähnlich wie ihr? Was mochte er wohl über sie denken? Sie fasste sich an die Schulter, spürte die wunde Haut ihres frisch gestochenen Tattoos.
Sein Blick folgte ihrer Bewegung. Ertappt ließ sie die Hand sinken.
»Herr Cube, Falschmeldungen halten sich manchmal erstaunlich lange. Manche gelangen sogar zu Weltruhm. So auch das Bild von der Maus mit dem menschlichen Ohr aus dem Jahr 1995. In Wirklichkeit pflanzte Jay Vacanti von der Harvard-Universität isolierte Knorpelzellen von Rindern in einen resorbierbaren Polymerträger, der die Form eines menschlichen Ohrs hatte. Die fertigen Formkörper transplantierte er auf die Labormäuse. Es handelte sich also nicht um einen Human-Maus-Hybrid, sondern allerhöchstens um eine Chimäre aus Maus und Rind.«
»Aber wozu das alles?«
»Es ging um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und um die Hoffnung auf Forschungsgelder. Letztendlich schürte Vacanti Zukunftsvisionen. Dazu brauchte er ein emotionales Foto und eine einleuchtende Erklärung, warum sein Vorhaben sinnvoll sei. Dieses Bild machte den Forschern und vor allem den Kranken und Unfallopfern Hoffnung auf den Ersatz eines verlorenen Körperteils, eines Ohres, einer zerstörten Nase oder gar eines inneren Organs.«
»Hat Professor Urbath also recht gehabt, die Maus ist ein Fake?«
»So einfach lässt sich das nicht mehr sagen. Tatsächlich entwickelte man in den Folgejahren die Gewebezüchtung in der Retorte weiter. Tissue Engineering machte Fortschritte, und eine Zeit lang waren diese Mäuse mit Ohr sogar in Mode. Jede Unfallklinik von Rang züchtete sich so ein Retorten-Ding, transplantierte es auf den Rücken einer Maus und stellte das Ergebnis irgendwo aus. Auch die Charité Berlin hat mit Sicherheit zwei oder drei dieser Ohrmäuse.
Doch dann kam der nächste medizinische Sprung, die Züchtung aus menschlichem Eigengewebe und aus adulten Stammzellen direkt am tierischen Körper, womit aus der Maus eine echte Human-Chimäre wurde.«
»Also wächst jetzt das Ohr direkt auf dem Rücken der Maus?«
Sie nickte. »Mit enorm vielen,
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