Lupus - Ankunft der Woelfe
ihn zwei riesige Kerle in schwarzen Anzügen unter. Sie zerrten ihn in den Fahrstuhl und rasten mit ihm die 150 Meter in die Tiefe. Mit eisernem Griff hievten sie ihn zum gläsernen Ausgang des erst vor einer Woche eröffneten Euro-Casinos und beförderten ihn von dort direkt auf die Straße.
Schneidender Wind und eine Mischung aus Regen und Graupeln schlugen ihm entgegen wie eine jäh platzierte Ohrfeige. Er begann mit rauer Stimme zu singen. »Money, money, money … makes the world go round. Lala-lala-laaa …«
Lallend und singend taumelte er vorwärts, stolperte, lag im Dreck, stand wieder auf und versuchte, sich zu orientieren. Menschen hasteten über den Alexanderplatz. Zweiter versuchte, fröhlich zu bleiben. Noch vor einer Woche war er reich, und jetzt hatte er alles verloren. Schon den ganzen Abend hatte er diese unbegreifliche Pechsträhne gehabt. Warum hatte ihn nur das Glück verlassen? Beim Poker war er doch sonst so ein Genie. Aber plötzlich war ihm nichts mehr gelungen. In seiner Verzweiflung hatte er am Roulettetisch alles verzockt.
Ich hole mir mein Geld zurück, dachte er, stoppte seinen Singsang und taumelte weiter.
An der Straßenecke wartete eine Menschengruppe darauf, dass die Ampel auf Grün sprang. Ein Mann im schwarzen Kaschmirmantel kam ihm entgegen. Mit einer Hand berührte Zweiter den Fremden am Arm. »Haben Sie mal ein paar Münzen für mich? Ich muss da wieder rein.« Er drehte sich um und zeigte zu dem Kasino. »Ich muss mein Geld zurückholen.«
Der Mann stieß ihn brüsk zur Seite. »Geh nach Hause. Du bist ja betrunken. Und fass mich nicht an. Sonst …«
Zweiter verlor das Gleichgewicht, fiel in den Schneematsch und den allgegenwärtigen Müll aus Pappbechern, aufgeweichten Brötchentüten und Bierdosen, der überall auf den Straßen Berlins lag. Wie war er nur hierhergekommen? Ratlos blickte er auf eine frische Spur im Schneematsch. Die Pfote eines riesigen Hundes hatte sich dort eingedrückt.
Der einsetzende Schneeregen durchweichte seine Hosen. Doch er nahm es nicht wahr. Auf seine Ohren legte sich ein Rauschen aus Stimmen, hupenden Autos und Gummireifen auf nassem Asphalt. Für einen flüchtigen Moment dachte er an glückliche Zeiten, als er komplizierte Gleichungen im Kopf gelöst hatte, am Bildschirm dreidimensionale, gedrehte Figuren sekundenschnell dem Original zugeordnet und Zahlenkolonnen auswendig gelernt hatte. Er hatte keinen einzigen Fehler gemacht. Nie! Und so hatte er auch Poker gespielt. Natürlich war es ein Glücksspiel. Aber es hatte auch etwas mit Können zu tun. Doch dann hatte sich alles gegen ihn verschworen.
»Betrüger. Die Welt besteht aus Scharlatanen«, rief er und erhob sich schwankend vom Gehweg. Er reckte die Arme zum Himmel, verzweifelt den Blick nach oben gerichtet.
Jemand ging an ihm vorbei und nieste.
Zweiter wünschte ihm lallend »Gschundheidd …«
Der Mann drehte sich um. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein, danke!« Er schüttelte heftig mit dem Kopf, während er wieder auf die Knie fiel. Spucke rann ihm aus dem Mundwinkel. Unbeholfen wischte er den Sabber ab. Ihm war nicht mehr zu helfen. Er hatte das Virus letzten Winter gehabt. Mit algengrünem Schnupfenschleim hatte es angefangen. Nachdem das Fieber Wochen später endlich gefallen war, hatten die Ärzte gesagt, er sei wieder gesund. Aber sie hatten gelogen. Seit wenigen Tagen kannte er die Wahrheit. Und inzwischen konnte er sogar spüren, wie sich die fremden Genketten in seine menschliche DNA fraßen. Er sah die kleinen Angreifer vor seinen Augen tanzen: giftgrüne gefräßige Monster.
41
Charité, Freitag, 5:45 Uhr
D as Wachsmodell in der gläsernen Vitrine hätte alles sein können: ein geschrumpeltes Croissant, gestauchte oder gedrillte Wurstpelle. Oder eben Kunst. Für Professor Urbath, einen kleinen, schlanken Mann mit vielen Falten im Gesicht, war es Symbol seiner guten Kontakte zu Berliner Kunstkreisen.
Der Professor schob seine goldgefasste Lesebrille zur Nasenspitze, um über den Rand sehen zu können, und grinste, so spitzbübisch wie eine Katze vor der Maus, als sein Blick auf das jüngste und teuerste seiner Exponate fiel: ein Ölgemälde mit Schwammgebilden, gespickt mit roten und grünen Tentakeln. Leben 3.0 , so hieß die Reihe.
Urbath nickte wissend. Diese Zukunft hatte bereits begonnen. Der Mensch hatte längst in die Evolution eingegriffen. Spätestens als der »Herr der Gene«, Craig Venter, das menschliche Genom entschlüsselte und 2007 erstmals
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