Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
drehen, so, als
würde auf dem Rummelplatz eine Achterbahn in Gang gesetzt. Gleichzeitig
durchströmte ein Rauschen ihre Ohren, während die Achterbahn Fahrt aufnahm, um
sich dann in vollem Tempo mit ihr in den Abgrund zu stürzen. Entsetzt schnappte
Magdalena nach Luft. Woher wusste Sybille Ravensburger von Raffael?
„Was hast Du mit diesem Raffael
Winter zu schaffen?“, hörte sie wie durch eine Watteschicht ihren Vater auf
sich einbrüllen, aber sie war nicht in der Lage zu antworten. Plötzlich fühlte
sie zwei starke Hände, die nach ihren Schultern griffen und anfingen sie zu
schütteln. „Sag mir sofort, was du mit diesem Musiklehrer zu schaffen hast,
Magdalena!“
„Aber, Onno“, hörte sie die
weinerliche Stimme ihrer Mutter, „du wirst doch dem Kind nichts tun! So lass
uns doch in Ruhe darüber reden! Ich verstehe gar nicht, was hier los ist! Onno,
bitte!“
Schwer keuchend ließ sich Onno
Fehnkamp zurück in seinen Sessel fallen. Weniger, weil die flehenden Worte
seiner Frau zu ihm durchgedrungen waren, sondern vielmehr, weil er plötzlich
Schwierigkeiten hatte, Luft zu bekommen.
„Beruhige dich doch“, sagte seine
Frau, die aufgesprungen war und ihm nun in hilfloser Geste über die Schulter
strich. Erschrocken stellte sie fest, dass seine Lippen eine bläulich-violette
Färbung zeigten. Er musste kurz vor einem Herzanfall stehen.
„Kind, nun sag du mir doch, was
los ist“, wandte sich Gundula Fehnkamp mit bebender Stimme an ihre Tochter. „Du
siehst doch, wie dein Vater sich aufregt. Was ist denn nun mit diesem Raffael
Winter?“
Magdalena holte tief Luft. Das
Rauschen in ihrem Kopf ließ langsam nach, und auch die Achterbahn verlor an
Fahrt. „Ich weiß es nicht“, sagte sie dumpf, und ihre eigene Stimme erschien
ihr plötzlich seltsam verzerrt. „Ich weiß nicht, was Papa damit meint.“
„Du bist ... du hast ... seine
Gespielin bist du, hat diese Frau gesagt. Sie sagt, du ... teilst das Bett mit
ihm“, vernahm sie im nächsten Moment ihren Vater. Nun aber klang er nicht mehr
bedrohlich. Vielmehr schien seine Stimme ihre ganze Kraft verloren zu haben und
plätscherte wie ein dünnes Rinnsal in den Raum.
„Ist das wahr, Magdalena?“,
fragte ihre Mutter erschrocken und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund.
Statt einer Antwort fing Magdalena
hemmungslos an zu weinen. Verzweifelte Schluchzer durchliefen in Wellen ihren
schlanken Körper und sie vergrub das Gesicht in ihren Armen. „Ich habe nichts
getan“, schluchzte sie schließlich verzweifelt auf, „bitte, ihr müsst mir
glauben. Ich habe nichts Unrechtes getan.“
Onno Fehnkamp starrte seine
Tochter minutenlang mit einen unergründlichen Gesichtsausdruck an, während
Magdalenas Mutter mit einem seltsam leeren Blick, der ins Nirgendwo gerichtet
schien, immer nur wieder stumm den Kopf schüttelte. „Reiche mir die Bibel“,
sagte Fehnkamp schließlich zu seiner Frau, was diese umgehend tat. „Schwöre bei
Gott, dass du die Wahrheit sagst“, raunte er seiner Tochter zu, schob ihr die
Bibel auf den Schoß, griff nach ihrer Hand und platzierte sie auf der Heiligen
Schrift.
„Ich schwöre“, flüsterte
Magdalena – und im gleichen Moment wusste sie, dass von diesem Moment an in
ihrem Leben nichts mehr so sein würde wie zuvor.
7
Gut gelaunt räumte Raffael Winter
ein paar Notenhefte, die er am heutigen Tag für seine Klavierstunden benötigt
hatte, ins Regal zurück. Bereits seit Tagen schien ihm – trotz des anhaltend
dunklen und eisigen Winterwetters – die Sonne heller zu scheinen, das Essen
besser zu schmecken und der Schlaf geruhsamer zu sein als jemals zuvor. Und
alles in ihm fing an zu jubilieren, wenn er an den einen Menschen dachte, der
ihn in jüngster Zeit glücklicher machte, als er es jemals zuvor im Leben
gewesen war: Magdalena. Zugegeben, er wunderte sich angesichts dieser
andauernden Hochstimmung ein wenig über sich selbst. Bisher hatte er immer
gedacht, dass ihn nichts im Leben glücklicher machen könne als häufiger Sex.
Ja, tatsächlich, möglichst zahlreiche sexuelle Kontakte zu haben schien ihm absolut
erstrebenswert zu sein. Denn worüber sonst konnte ein Mensch so viel
Anerkennung bekommen, wie über ein reges Sexualleben? Für andere begehrenswert
zu sein, von ihnen gerne berührt und liebkost zu werden, gesagt zu bekommen,
dass man der beste Liebhaber der Welt sei – konnte es Schöneres geben? Bereits
seit Jahren zehrte Raffael von den ständig neuen Erfahrungen, von den in
höchster
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