Lustnächte
seiner Göttlichkeit. Damit machte er ihn unsterblich. Jesus Bruder Jakob verleugnete er gänzlich. Sich selbst erklärte er zum Gründungsbischof. Keines der Wunder, die er Jesus andichtete, wurde nicht schon viel früher, zum Teil Jahrhunderte vorher, beschrieben, wie zum Beispiel die Heilung von Aussätzigen oder die Erweckung von Toten.“
Der Abt machte eine Pause, griff nach seinem Glas und nahm einen kräftigen Zug.
Kippte scheinbar auch kein Glas daneben, dieser frömmelnde Heuchler, dachte Pierre.
„Nun, der Orden von Sion besitzt Schriften des jüdischen Historikers Josephus“, fuhr der Abt fort. „Sie zeigen ein detailliertes Bild der politischen Lage zur Zeit Jesu. Vergleicht man sie mit späteren christlichen Schriften, sieht man deutlich, wie sie von ihrem ursprünglichen römerfeindlichen Nationalismus gereinigt wurden, damit sie für das Rom jener Zeit akzeptabel wurden. Und damit nahm die christliche Religion ihren Anfang. Der Orden von Sion und die überlebenden Juden schwiegen, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Über Jahrhunderte.“
Der Abt machte erneut eine Pause, die Jean-Luc nutzte, um eine Frage zu stellen.
„Mit den überlebenden Juden meint ihr jene, die nach Gallien flüchteten, nicht wahr? Ins heutige Languedoc. Wenn Ihr ein Mitglied des Ordens von Sion seid, müssen sie auch Eure Vorfahren sein, habe ich recht?“
Der Abt nickte.
„So ist es. Die Mitglieder jenes Ordens sind die einzigen legitimen Nachkommen der Jerusalemer Urgemeinde. Nur Mitglieder dieser Familien konnten dem Orden beitreten. Niemand ohne jüdischeWurzeln wurde je aufgenommen. Doch der größte Teil der Beweise, die sie für ihre Herkunft hatten, waren bei der Zerstörung Jerusalems im Tempel zurückgeblieben, wo man seit jeher alle wichtigen Schriftstücke aufbewahrt hatte. Und sie hatten immer den Wunsch, zurückzukehren, um wieder einen jüdischen Staat zu errichten. Aber erst mehr als tausend Jahre später bot sich eine Gelegenheit. Ein Ritter begeisterte Papst Urban für die Idee, Jerusalem zu befreien. Sein Name war St. Clair. Er war zu jener Zeit der oberste Führer unseres Ordens. Und hier sah er eine Möglichkeit, mit einer ganzen Streitmacht ins Heilige Land zu gelangen, ohne seine Beweggründe preisgeben zu müssen. Es gelang, wie euch allen bekannt sein dürfte. Und mit St. Clair zog der junge Hugh de Payens ins Heilige Land, der spätere Gründer der Tempelritter. Er kam aus der Champagne, seine Familie stammte aber ursprünglich aus dem Languedoc. Auch er war einer der unseren. Zunächst klammerte er sich noch an seinen christlichen Glauben, obwohl er die Wahrheit kannte, seit er mit achtzehn Jahren in den Orden aufgenommen worden war. Er war einer der Ersten, die 1099 bei der Einnahme Jerusalems in die Stadt eindrangen. Dort sah er völlig ernüchtert, wie die Geistlichen im Heiligen Land sich verhielten. Alles andere als christlich. Dennoch blieb er, denn er war ja dort auf Weisung unseres Ordens. Er machte sich mit der Lage vertraut und gründete später den Orden der Tempelritter, da es für unsere Zwecke von Nutzen war. Eigentlich war es Mönchen verboten, zu kämpfen. Doch er machte dem Bischof und weltlichem Herrscher Jerusalems klar, dass kämpfende Mönche die Sicherheit der Pilger gewährleisten könnten, und hatte Erfolg damit. Ebenso konnte er durchsetzen, dass dieser Orden als erster überhaupt eigenes Geld besitzen durfte, damit niemand ihn unterhalten musste. Als Sitz erbat er die alten Stallungen auf dem Tempelberg. Laut einer Karte, die der Orden von Sion besitzt, war darunter jener vierzig Jahre nach Jesu Tod zerstörte Tempel, in welchem tief unter der Erde alles, was die Mitglieder der Urgemeinde nicht hatten mitnehmen können – Schriften, Reliquien, Kultgegenstände – in Sicherheit gebracht worden war.
Hugh de Payens hatte diese alte Karte mit einer neuen Jerusalems verglichen, und so die genaue Lage des Tempels bestimmen können. Er scharte acht weitere Ritter um sich, ebenfalls Mitglieder des Ordens von Sion, und errichtete ihr Hauptquartier auf dem Tempelberg. Unter dem Vorwand, Zellen in den Berg zu graben, gruben sie nach dem Tempel. Und fanden ihn. Und in ihm alte Aufzeichnungen und vieles mehr, was ihnen wichtig war. Siebrachten alles hierher nach Südfrankreich, wo die meisten von ihnen lebten und begannen, die Schriften zu übersetzen.“
„Aber sie fanden dort nicht den Schädel Jesu?“ Wieder war es Beatrix, die die Frage stellte.
„Nein. Aber die
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