Lustnächte
Juden war die Lage nicht mehr hinnehmbar. Also schlossen sie sich zusammen, mit dem Ziel die Macht wiederzuerlangen.“
„So war es“, erwiderte der Abt. „Und der Anführer einer dieser Sekten war Yeshua Ben David, den wir unter dem Namen Jesus kennen. Er gehörte der Priestersekte der Essener an. Sie nannten sich
Gemeinschaft von Jerusalem
. Alles, was sie taten, geschah mit dem Ziel, die Juden wieder an die Macht zu bringen. Jesus war ein politischer Revolutionär. Schließlich denunzierten die Pharisäer ihn bei den Römern und er wurde hingerichtet. Die Kreuzigung Jesu hat damals nicht einmal sehr großes Aufsehen erregt. Es war die zu dieser Zeit gängige Strafe für Verbrecher, Diebe, Mörder, politische Rebellen und Deserteure. Nach seiner Hinrichtung hat sein Bruder Jakob die Gemeinschaft weitergeführt.“
„Der zweite Knabe, den Josef und Maria auf ihren Armen halten“, warf Beatrix ein. „Jesus hatte also tatsächlich einen Bruder.“
„So ist es. Saunière konnte nicht umhin, in seiner Kirche ein paarHinweise auf das Geheimnis zu hinterlassen. Aber weiter. Jakob wurde ebenfalls ermordet. Und vielmehr als der Tod seines Bruders Jesus führte der seine zu Rebellion und Unruhen, weil es keine öffentliche Hinrichtung, sondern ein hinterhältiger Mord war. Und diese Unruhen führten schließlich zum Krieg der Römer gegen die Juden. In dessen Folge vernichtete Titus die jüdische Nation und die wenigen Überlebenden wurden in alle Welt verstreut. Einige dieser Überlebenden gründeten den Orden von Sion.“
„Deshalb wurde das Wort Sion so oft in Dokumenten erwähnt, die wir gefunden haben“, warf Jean-Luc ein.
„Diese Dokumente sind mir bekannt. Saunière hat sie verfasst. Wohl in dem Bestreben, sich gegen unseren Orden zu schützen.“ Der Abt seufzte.
Pierre hatte es inzwischen geschafft, sich zu beruhigen und zuzuhören. Er hielt noch immer Beatrix’ Hand ganz fest.
„Dann stimmt die Aussage der Malteser. Sie haben diese beiden Dokumente auf die Zeit um 1900 datiert“, warf Jean-Luc ein. „Für die anderen beiden geben sie die Zeit zwischen 1770 und 1800 an. Kennt ihr auch diese?“
„Aber ja, sie stammen von Abbé Bigou. Aber zu ihnen kommen wir später. Lasst mich fortfahren.“ Der Abt lehnte sich zurück.
„Dieser neu gegründete Orden besaß Beweise für das Leben und Wirken Jesu und seines Bruders sowie Aufzeichnungen über andere Rebellen, den Krieg und so weiter, die sie sorgfältig vor Außenstehenden verbargen. Ebenso, wie ihre eigene Identität, deren Bekanntwerden sie unverzüglich vernichtet hätte, denn die Römer verfolgten die geflohenen Juden. Später wurde die christliche Kirche gegründet. Sie basiert auf einem Mythos, welchen ein Mann namens Paulus ins Leben rief. Paulus war Heide. Als Heide bezeichnete man damals jeden, der kein Jude war. Dieser Paulus war ein Freund der Römer, ein Spion, den das Imperium bezahlte, ein Opportunist erster Güte. Jesus ist er nie begegnet. Aber er kannte Jakob, seinen Bruder, der ihm abgrundtief misstraute. Paulus gehörte nie zur Sekte der Essener, aber er hatte über ihre Riten und Gebräuche erfahren. Was er anscheinend – bis auf den Kern der Sache – missverstanden hatte. Die Essener glaubten an einen Messias, der kommen und sie befreien sollte. Und der Rebell Jesus erschien ihm als Figur dieses Messias geeignet. Er stahl also die Idee von der Gemeinschaft und nutzte sie als Basis für ein Gedankengebäude, das heute die Welt mitregiert, das Christentum. Er nannte es so nach dem Namen, den er sich irgendwann für Jesus ausgedacht hat: Christus. Paulus sah sehr bald, dass seine Idee Erfolg hatte und was er damit erreichenkonnte. Also befreite er seine Grundidee von allem, was den Römern missfallen könnte. Das heißt von allem Jüdischen. Er richtete seine neue Religion ganz nach römischem Geschmack aus, baute Götter Roms, Griechenlands und Ägyptens ein, trug römischer Tradition und Aberglauben Rechnung.“
„Was genau meint Ihr damit, Vater Abt?“, fragte Beatrix.
„Nun, zum Beispiel die jungfräuliche Geburt. Der römische Soldatengott Mithras, der sehr von den Römern verehrt wurde, soll in einem Stall zur Welt gekommen sein und seine Mutter war Jungfrau. Ebenso, wie Horus, ein ägyptischer Gott, der Sohn von Isis und Osiris. Jener soll auf die Welt gekommen sein, um die Sünden der Menschheit zu tilgen. Und so verfiel Paulus auf die Idee, Jesus als Sohn Gottes auszugeben, der auferstanden war als Zeichen
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