Lustnebel
die englischen Herren. Seine Züge waren zu scharf geschnitten, sein Haar zu glatt, zu schwarz, zu lang, um ansatzweise Rowenas Idealvorstellung ihres zukünftigen Ehemannes gerecht zu werden.
Er begrüßte Rowena und ihre Mutter harsch.
„Lord Windermere.“ Florence Partridge knickste elegant und schenkte ihm ein höfliches Lächeln.
„Lady Darnley.“ Seine Stimme klang nun sanft und singend. Rowena fühlte eine Gänsehaut über ihren Rücken wandern. „Ich hielt es für angebracht, meine Verlobte zu besuchen und auf eine kleine Ausfahrt einzuladen.“
„Welch reizende Idee!“, flötete sie und wandte sich Rowena zu. „Rowena, findest du nicht auch?“
„Sicher, Mutter“, quetschte sie hervor. Lord Windermere, Chayton, wie sie sich im Geiste verbesserte, sah sie an.
„Ich hoffe, es bringt Eure Pläne für den heutigen Tag nicht durcheinander?“, fragte er, doch sein Tonfall ließ erkennen, dass es ihm gleichgültig war, selbst wenn dem so war.
Rowena starrte ihn an, und das Gefühl der Kälte in ihrem Innern vergrößerte sich.
Was passierte nur? Sie musste heiraten. Auf Gedeih und Verderb an einen Fremden gebunden, bis dass der Tod sie schied. Sie schluckte. Mit einem Mal überkam sie der Wunsch, zu schreien. Zu schreien und nie wieder aufzuhören.
Sie stiegen aus der Kutsche. In dem Park tummelten sich kaum Menschen. Einige Kindermädchen schoben die Wagen ihrer Schützlinge über die Wege, und ein paar Lakaien mit Hunden waren auszumachen. Die feine Gesellschaft geruhte so früh am Morgen noch beim Frühstück zu sitzen.
Rowena seufzte. Immerhin würden sie keinem Bekannten begegnen.
„Erregt etwas Euer Missfallen, Lady Rowena?“, erkundigte sich Chayton.
Sie biss sich auf die Lippen und blickte ihn an. Seine ernste Miene schien sie bis auf den Grund ihrer Seele zu durchleuchten und ihre Gedanken nur allzu genau zu erraten. Er runzelte kaum merklich die Stirn, und Rowena schämte sich. Sie hatte keinen Grund, sich für ihn zu genieren, nur weil sie einen Fehler begangen hatte.
Im Gegenteil, er hatte sie in zweierlei Hinsicht gerettet: vor der Enttarnung als Schnüfflerin und vor dem Verlust ihres guten Rufes. Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Durchaus nicht, Mylord“, gab sie zur Antwort. Sie sah zu ihrer Mutter, die geflissentlich Abstand hielt, um ihr und Chayton Gelegenheit zu geben, sich zu unterhalten. Rowena starrte auf den Weg vor sich, ehe sie Chayton musterte. Er sah stur geradeaus, und so konnte sie sein Profil bewundern. Er trug sein Haar als langen Pferdeschwanz, und sie fragte sich interessiert, welch exotisches Blut in seinen Adern fließen mochte.
„Indianisch“, ließ er sich vernehmen, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Rowena nickte, ohne recht zu verstehen, was ihr unfreiwilliger Verlobter damit meinte.
„Mein Großvater Guyapi war der Cousin des letzten Marquess of Windermere.“ Ein leichtes Lächeln flog über seine Miene, als er Rowena anblickte. „Die Lakota befanden, dass er für ein Bleichgesicht ungewöhnlich ehrlich war, und so nannten sie Gerald Bannister Guyapi, das bedeutet in der Sprache der Lakota ‚ehrlich’.“
„Bleichgesicht?“, fragte Rowena verstört.
„Wir nennen die Weißen Bleichgesichter“, erklärte Chayton. Seine Miene verfinsterte sich. „Entgegen den Gerüchten sind wir Wilden aus Amerika keine Kannibalen. Ihr habt nicht zu befürchten, auf meinem Teller zu landen.“ Er ließ seinen Blick von ihren Füßen hinauf zu ihrem Gesicht wandern. „In mein Bett werde ich Euch jedoch nehmen. So wie es mir zusteht als Eurem Gemahl.“
Unwillkürlich erinnerte sich Rowena an die Stunden im Hellfire Club, und zwischen ihren Beinen ließ die Erinnerung ein Pochen und Pulsieren entstehen, das es ihr schwer machte, sich auf Chaytons nächste Worte zu konzentrieren.
Sie rief sich zur Ordnung. „Verzeiht, ich war abgelenkt, Mylord. Was sagtet Ihr eben?“, meinte Rowena wie beiläufig und zwang sich, ihre Hände ruhig zu halten, um sie nicht auf ihre brennenden Wangen zu legen. In der Ferne plärrte ein Kind, und Chayton sah hinüber, um sich gleich darauf Rowena zuzuwenden.
„Wir sind bald Mann und Frau. Es wäre mir recht, wenn wir auf diese lächerlichen Förmlichkeiten verzichten könnten. Mein Name ist Chayton“, sagte er. Ein leichter Wind spielte in seinem Haar, und eine Strähne löste sich aus seinem Zopf. Rowena nickte. „Wie Ihr … wie du wünschst, Chayton.“
„Dann wäre das geklärt.“ Er hielt inne und
Weitere Kostenlose Bücher